: Duarte ein Mann der Mitte?
Spannung liegt auf ihren sonnengegerbten Gesichtern, als sie bemerken, daß sie von Journalisten fotografiert werden. Sie demonstrieren gegen die Wirtschaftspolitik Duartes und das neue Wehrpflichtgesetz. Die Strohhüte der Männer und die Röcke der Frauen mit den übergebundenen Schürzen weisen neben ihrer verbrannten Haut darauf hin, daß sie vom Land kommen. Einige Studenten, die geschäftig hin und herlaufen, mit Megaphonen die Demonstration in San Salvador organisieren und Parolen rufen, haben ihre Gesichter vermummt. Ob nun die Demonstrationen gegen das „Paquetazo“, das zweite „ökonomische Bündel“ Duartes mit Preiserhöhungen für staatliche Dienstleistungen und Grundnahrungsmittel, oder ob die Demonstration zum 1. Mai, es sind meist zwischen 10.000 und 15.000 Teilnehmer, wenn auch nicht mehr ganz so viele wie im letzten Jahr. 40.000 demonstrierten damals für Lohnerhöhungen und die Aufnahme eines Dialogs zwischen der Duarte–Regierung und der FMLN. Der Zusammenschluß zahlreicher Gewerkschaften, Bauern– und Angestellten– Organisationen über die politischen Grenzen hinweg hatte der sozialen Bewegung El Salvadors neue Hoffnung und neuen Aufschwung gegeben. Doch die spontane Hoffnung ist zu großen Teilen wieder der alten Angst gewichen. Es ist vor allem die Angst vor der gezielten Repression ziviler „Sicherheitskräfte“. Zwar sind die Übergriffe nicht mehr so häufig, treffen aber vermehrt Repräsentanten von Gewerkschaften, Kooperativen, Menschenrechtsorganisationen oder engagierte Christen. In den letzten vier Monaten wurden 50 Kooperativisten verhaftet, einige verschwanden, die lutherische Kirche mußte Ende April Überfälle auf zwei ihrer Mitarbeiter und ihr Büro erleben, ein Student wurde erschossen, zwei Gewerkschaftsführer angeschossen. Im Haus des Mütterkomitees explodierte im Mai eine Bombe, ein Mitglied des Mütterkomitees wurde nach einer Demonstration auf dem Nachhauseweg mit ihrem Sohn gezielt von einem Wagen überfahren. Nur der kleine Junge überlebte. Amnesty International appellierte deshalb am Samstag an die Bundesregierung, die Frage der Menschenrechte mit Duarte zu erörtern. Nicht nur große Teile der armen Bevölkerung opponieren aufgrund der ständig schlechter werdenden wirtschaftlichen Situation - die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung beträgt fast 70 Prozent - gegen Duarte, der seine Wahlversprechungen nicht erfüllt hat. Auch die Rechten und Unternehmerverbände tun sich mit ihrem Unwillen lautstark hervor. Im Februar biß Duarte mit seiner „Kriegssteuer“, in der Kapitalbesitzer zur Kasse gebeten werden sollten, auf Granit. Die rechten Oppositionsparteien traten in einen Parlamentsstreik und verabschiedeten noch nicht einmal den allmonatlich zu verlängernden Ausnahmezustand. Vor Gericht klagten sie gegen das Kriegssteuer–Gesetz und bekamen mit einer sensationellen Begründung Recht. Eine Kriegssteuer könne nur erhoben werden, wenn es sich um einen Krieg von außen handele, der die nationale Souveränität El Salvadors bdrohe. Da aber in El Salvador die nationale Souveränität nicht bedroht sei, es sich vielmehr um einen internen Konflikt handele, sei die neue Steuer ungerechtfertigt. Sensationell war die Begründung deshalb, weil diesmal aus Opportunitätsgründen die alte Version, bei dem Krieg in Salvador handele es sich um eine sowjetisch–kubanische Infiltration, völlig weggelassen wurde. In ganzseitigen Zeitungsanzeigen wird Duarte mal von der Industrie– und Handelskammer, dann der Zuckerindustrie oder der Vereinigung der Viehzüchter, der Unfähigkeit bezichtigt. Die rechtsextreme MAN (Bewegung für eine nationale Aktion) kritisiert in den „campos pagados“ (bezahlten Anzeigen) Mißwirtschaft, Korruption und Führungslosigkeit. Sie appelliert an die Streitkräfte, wieder die nationale Verantwortung zu übernehmen. Die „Herren im Hause“, die US–Botschaft und die Militärberater halten jedoch eine erneute Militärregierung für nicht opportun. Als sich im Januar hartnäckige Putschgerüchte hielten, gab die US–Botschaft intern unmißverständlich zu verstehen, daß El Salvador damit dann seine finanzielle Unterstützung durch die Vereinigten Staaten aufs Spiel setzen würde. Der christdemokratische Präsident Duarte ist nicht, wie er gerne im Ausland hingestellt wird und wie er sich selbst sieht, der angegriffene liberale Politiker der Mitte, der sein Programm kaum gegen die ständigen Angriffe von Links und Rechts durchsetzen kann. Das Problem von Duarte ist, daß er keinen eigenständigen Handlungsspielraum hat und völlig von Entscheidungen der Militärs und den USA abhängt. Die USA sind aber auf das liberale Gebaren des Christdemokraten angewiesen, das diesen in die unlösbare Zwickmühle bringt, einerseits formell freie Gewerkschaften zuzulassen, andereseits ihnen keine Zugeständnisse machen zu dürfen. Währenddessen hat sich die Guerilla trotz siebenjährigen Bürgerkrieges nach Einschätzung des Analyse–Bulletins der katholischen Universität „El Proceso“ im Mai zu einer der stärksten Befreiungsbewegungen Lateinamerikas entwickelt. Trotz objektiver Versorgungs– und Nachschubschwierigkeiten hätte die FMLN in den letzten Monaten ihre Stärke erhalten und die Kampftätigkeit auf neue Gebiete ausgedehnt. Was der „Proceso“ nicht schreibt, ist, daß auch Millionen von Dollar eine Untergrundarmee nicht am Überleben halten könnten, hätte sie keine effektive Unterstützung durch die Bevölkerung. Und offensichtlich haben auch die Millionen US–Dollar Wirtschafts– und Militärhilfe, die dieses Jahr auf 700 Millionen aufgestockt wurden, ebensowenig bewirken können wie die Aufrüstung der militärischen Logistik. Sie bewirkte lediglich eine Änderung der Taktik der Guerilla. Guerilla fordert Dialog Da der Bürgerkrieg mit mehr als 60.000 Tote und fast eineinhalb Millionen Flüchtlinge tiefe Wunden im Land hinterläßt, schlägt die Guerilla seit 1984 immer wieder einen „Dialog zur Humanisierung des Krieges“, der Einleitung von Friedensgesprächen und der Bildung einer Übergangsregierung vor. Präsident Duarte, der noch vor der Wahlfarce 1984 versprochen hatte, solche Gespräche ernsthaft einzuleiten, ließ nach einem ersten Anlauf in Las Palmas alle weiteren Versuche scheitern. Mittlerweile fordert er - nach jedem Gesprächsangebot von seiten der Guerilla - eine Niederlegung der Waffen als Voraussetzung für ernsthafte Verhandlungen. Eine Bedingung, die nach bekannten Erfahrungen zur Liquidierung derselben führt. Aber nicht nur intern, auch außenpolitisch macht sich Duarte zum Vollstrecker der US–Interessen. Als klar wurde, daß der Friedensplan von Costa Ricas Präsidenten Arias nicht mit den Interessen der USA übereinstimmte, stellte Duarte den Antrag, die Sitzung der Mittelamerikanischen Präsidenten Ende Juni abzublasen. Jetzt hat Duarte zugesichert, die Sitzung solle am 6. August stattfinden.
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