: Du heiratest einen Cowboy
Architektonisch macht das neue Bremerhavener Auswanderermuseum was her. Der politischen Dimension des Themas dagegen ist ein Konzept nicht gewachsen, das ganz auf Event und „Erlebnisraum“ setzt. Die Schicksale der Auswanderer werden so zur gigantischen Kitschinszenierung
aus Bremerhaven Jens Fischer
Mit Flüchtlingsschicksalen Geld verdienen, so lautete zwischen 1830 und 1974 das Prinzip der Dienstleistungsbranche für Auswanderer in Bremerhaven. Und so soll auch das gestern dort eröffnete Deutsche Auswandererhaus funktionieren.
In beiden Fällen ist es überflüssig, mit dem moralischen Zeigefinger zu wedeln. Damals wie heute wird aus der Not eine Tugend: die einen leben davon, andere 13.000 Kilometer nach New York zu transportieren – beziehungsweise 2.200 Museumsquadratmeter durchwandern zu lassen.
Für Bremerhaven ist das neue Museum ein Stück Stadtgeschichte. Da Bremen durch Versandung der Weser die Bedeutung als Hafenstadt verloren hatte, gründeten die Kaufleute vor 178 Jahren den Bremer Haven neu an der Wesermündung. Und dass nur, weil man um das Geschäft mit den Auswanderern wusste. Diese zahlten vor Fahrtantritt, mit ihnen ließen sich die Schiffe nach Amerika beladen, da es wenig Exportartikel gab. Mit sozialer Gesetzgebung und reichlich Werbung wurde Bremerhaven zum beliebtesten und wichtigsten europäischen Einschiffungshafen. Das gerade dort nach 20-jähriger Vorbereitung „das größte Erlebnismuseum Europas zum Thema Auswanderung“ entstanden ist, wie Oberbürgermeister Jörg Schulz anmerkt, macht also historisch Sinn. Das Auswandererhaus steht am Alten Hafen, wo einst Lagerhäuser vor sich hinrotteten. Nicht weit entfernt vom historischen Auswandererhaus, das 1849 bis 1865 für Verpflegung und Unterkunft der Passagiere sorgte – und heute ins Gebäudeensemble der Hochschule integriert ist.
Der Neubau soll Initialzündung für die Hafenbrache sein, um Bremerhaven wieder als Stadt am Meer, als Tor zur Welt touristisch attraktiv machen. Und tatsächlich: Schräg gegenüber dem legendär hässlichen Columbuscenter und vor der hingehuschten Stadtarchitektur macht das Gebäude Eindruck. Geblähte Betonsegel überragen den Bau, der auf einem abstrahiert geschwungenen Schiffsrumpf ruht, auf den sich ein mit schicken Lärchenholzplanken verkleideter Kasten quetscht – wie das Zwischendeck, das in Auswandererschiffen für die Passagiere eingezogen wurde.
Das Museumskonzept gibt sich modern. „Wer heute abhauen will aus Deutschland, hier kann er erfahren, wie das geht“, erklärt Architekt und Ausstellungsmacher Andreas Heller im Saal der Computerterminals. Auch kann man nach den eigenen Vorfahren forschen. 11.000 Namen der 7,2 Millionen über Bremerhaven verschifften Menschen sind archiviert. Außerdem möchte man sich in die Migrationsdebatte einschalten und multikulturelle Tanz-/Koch- /Begegnungsabende veranstalten. Mehr als Pläne waren gestern nicht zu erfahren.
Überhaupt wirkt der Versuch, die Aktualität des Themas Auswanderung aufzugreifen, nur halbherzig und notdürftig realisiert. Die Dauerausstellung ist „Erlebnismuseum“ pur. Es gibt viel zu begreifen, um etwas zu verstehen. Gründe für Migration waren immer ähnlich: Armut, Krieg, Verfolgung. Im Museum sieht das so aus: weil die Industriealisierung des 19. Jahrhunderts vielen Handwerkern die Existenzgrundlage raubte, sind Schumacher- und Heimwebutensilien zu sehen. Aber es wird auch konkret. Es gibt 15 Eintrittskarten für 15 Auswandererbiografien, die sich von Raum zu Raum an Hörstationen vermitteln. Gesprochen von aus Film, Funk und Fernsehen bekannten Stimmen. In der bibliotheksartigen „Galerie der 7 Millionen“ hört und sieht zum Beispiel, dass eine gewisse Martha Hüner von ihrem Vater für den Neustart jenseits des Atlantiks eine Pferdebürste geschenkt bekam: „Du heiratest bestimmt einen Cowboy.“
Die Ausstellung startet mit einer gigantischen Kitschinszenierung: Puppen im Auswandererdesign, Hoffnungslosigkeit und Zuversicht ins Gesicht geschminkt, vor Schiffswand verharrend. Schrille Sounds, vorbeihallende Erinnerungsfetzen, funzeliges Licht. Alleingelassen soll der Besucher sich so eingrooven aufs Denken und Fühlen der Abschiedssituation. Aber kein Mensch anno 2005 kann sich wirklich vorstellen, wie ein Knecht 1850, ein jüdischer Emigrant 1934 die Situation erlebt hat. Auch wenn die Museumsmacher noch sehr eindringlich in (bewusst?) schlecht gelüfteten, fensterlosen Räumen die bedrückende Enge der Überfahrt darzustellen versuchen. Schulklassen sollen dort demnächst übernachten dürfen.
Der Besucher aber wandern weiter in die Gatter auf der Einwanderungsinsel in New York, um dann in zwei Minuten die 29 Fragen der US-Beamten zu beantworten. Wer durchkommt, darf in Bremerhavens schönstes Kino, das den Lichtspielsälen alter Luxusliner nachempfunden ist. Gezeigt wird ein Film über die Nachfahren der US-Auswanderer. Die als Ehrengäste der Museumseröffnung gestern auch gern ein maritimes T-Shirt im Auswanderhaus-Shop kauften.