Dschingderrassabum: Nackte Flitzer sind passé
Das öffentliche Gelöbnis findet in diesem Jahr nicht im abgeschirmten Bendlerblock, sondern vor dem Reichstag statt. Damit steigen auch die Chancen für Störer. Eine Renaissance des GelöbNix?
Können Gartenzwerge gegen das Versammlungsrecht verstoßen? Mit dieser Frage musste sich 1998 das Amtsgericht Tiergarten beschäftigen. Die "Kampagne gegen Wehrpflicht" hatte zwei Jahre zuvor am Schloss Charlottenburg 450 liebevoll mit Hand bemalte Gartenzwerge vereidigt - laute Tschingderassabum-Musik inklusive. Damit kam die Zwergenarmee der Bundeswehr zuvor, die zwei Tage später selbst das erste öffentliche Gelöbnis in Berlin seit der Wiedervereinigung abhalten wollte. Zu 451 Mark Strafe sollte die Kampagne damals verknackt werden. In zweiter Instanz wurde die Initiative freigesprochen.
Zwischen 1996 und 2004 waren die "GelöbNix"-Proteste eine feste Größe mitten im tiefsten Sommerloch, sie waren ein Ereignis, das sich kein linker Aktivist entgehen lassen wollte.
Das Gelöbnis beginnt am Sonntag um 19.30 Uhr auf dem Platz vor dem Reichstagsgebäude. Schon mittags sind daher große Teile des Tiergartens und der Spree weiträumig abgesperrt. Um 18 Uhr beginnt an der Ebertstraße Ecke Hannah-Arendt-Straße eine Kundgebung der Gelöbnisgegner. Eine geplante Demonstration am Brandenburger Tor war zuvor nicht erlaubt worden. Unterdessen werden weite Teile der Politprominenz dem Gelöbnis fernbleiben. Der Grund: Sie sind im Urlaub.
In einem Jahr gab es die Zwergenvereidigung, im nächsten flitzten Nackte über den Appellhofplatz und wiederum ein Jahr darauf gaben sich zwei Aktivistinnen als die Töchter des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping (SPD) aus, um sich im entscheidenden Moment an einen Zaun zu ketten und mit Alarmsirenen das Zeremoniell zu stören. Die spektakulären Aktionen hatten zur Folge, dass die Bundeswehr ihr eigentlich als öffentlich deklariertes Gelöbnis nur noch hinter geschlossenen Mauern im Bendlerblock abzuhalten wagte.
Nachdem die Gelöbnis-Proteste in den vergangenen Jahren deutlich abgeklungen waren, wagt sich die Bundeswehr ganz offensichtlich wieder aus ihrem Mauseloch: Zum ersten Mal seit vielen Jahren wird es an diesem Sonntag wieder ein öffentliches Gelöbnis geben, für das die Bezeichnung "öffentlich" auch wirklich gerechtfertigt ist. Die diesjährigen Feierlichkeiten sollen auf dem weitläufigen Platz vor dem Reichstagsgebäude stattfinden.
Das wiederum lockt auch die Gegendemonstranten aus ihren Löchern: Antifas und sonstige Bundeswehrgegner hatten eine Demonstration mit Auftakt vor dem Brandenburger Tor angemeldet und müssen sich nun mit einer Kundgebung an der Ebert-/Ecke Hannah-Arendt-Straße begnügen. "Sicher sind auch Aktionen geplant, um den reibungslosen Ablauf der Zeremonie durcheinanderzubringen", versichert Kerstin Frenz vom Gelöbnix-Bündnis. Wird es damit aber auch eine Wiederauflage der legendären GelöbNix-Proteste geben?
"Innerhalb einer Woche hätte es auch damals keine Störaktionen gegeben", sagt Ralf Siemens von der Kampagne gegen Wehrpflicht. Dazu benötige es viel mehr Vorbereitungszeit. Die knappe Zeitangabe sei ja genau die Absicht der Gegenseite, so Siemens. Sie wolle damit nicht nur die Demonstrationen verhindern, sondern auch sonst keine kritische Diskussion über den Sinn und Unsinn von Gelöbnissen zulassen.
Damit benennt Siemens aber nur die Rahmenbedingungen. Denn auch die Protestkultur ist nicht mehr dieselbe. Vor zehn Jahren erregte bis weit ins linksliberale Spektrum hinein der Kosovokrieg die Gemüter, bei dem sich Deutschland immerhin das erste Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit einem Kriegseinsatz beteiligte. Inzwischen gehören Militäreinsätze mit deutscher Beteiligung zum Normalzustand. "Damals dachten wir noch, beim ersten toten deutschen Soldaten wird die ganze Republik auf den Barrikaden stehen", erinnert sich Antikriegsaktivist Benjamin K., der damals wie heute Antikriegsdemonstrationen organisiert. "Da haben wir uns wohl gewaltig getäuscht." Heute würden die Leute nicht einmal zusammenkriegen, bei wie vielen Auslandseinsätzen die Bundeswehr beteiligt ist, sagt der 33-Jährige. Dazu beigetragen habe seiner Meinung nach vor allem die rot-grüne Bundesregierung, die bis 2005 im Amt war. Sie opponierte gegen den Irakkrieg und suggerierte damit, dass sie gegen jegliche Kriegseinsätze sei. "Gefühlt ist Deutschland kein kriegstreibendes Land", sagt Benjamin K. Dabei sind die Fakten ganz andere.
Soviel Aufmerksamkeit die einfallsreichen Proteste damals auf sich gezogen haben - getragen wurden sie auch damals nur von wenigen. Der Handvoll Aktivisten, die die Proteste von zum Teil langer Hand vorbereitet und professionell umgesetzt hat, gelang es, mit viel Verve das Bild der David-und Goliath-Legende auf ihren Protest zu projizieren. Nackte, die sich mit bis auf die Zähnen bewaffneten Soldaten der Bundeswehr auf dem Appellhofplatz ein Katz-und-Maus-Spiel lieferten, bescherten den Demonstranten Sympathiebekundungen weit über die Protestszene hinaus. In den Jahren darauf wollte dementsprechend jeder linke Aktivist bei diesem Spektakel dabei sein.
Diese Zeiten sind wohl endgültig vorbei. Die Kampagne gegen Wehrpflicht hat bereits in den vergangenen Jahren ihr Engagement bei den alljährlichen Gelöbnis-Protesten immer stärker zurückgefahren. Im vergangenen Jahr beteiligte sie sich gar nicht mehr. Zur Begründung hieß es: "Droht eine Demonstration zum Ritual zu werden, muss man auch den Mut haben, eine Tradition zu beenden."
"Tucholsky hat Recht"
Marek Voigt (31) setzt weiter auf kreativen Protest - auch wenn dies weitaus schwieriger geworden ist
"Eins war für uns klar: Eine Demonstration allein reicht nicht. Ich war schon beim Gelöbnis 1999 vor dem Roten Rathaus dabei. Ich weiß noch, wie entsetzt ich war, weil die Polizei unsere Lautsprecheranlage zerstört hatte. Damals wurde klar: Wir müssen die Veranstaltung stören.
Ich war der Meinung, dass die Bundeswehr in Berlin und in der Öffentlichkeit nichts zu suchen hat. Das Gelöbnis ist eine Werbung für die Wehrpflicht. Beim Gelöbnis 1999 kam noch ein wichtiger Grund für unseren Protest dazu: der Kosovo-Krieg, der erste deutsche Angriffskrieg nach dem Zweiten Weltkrieg.
Damals ist es uns gelungen, die Sicherheitskontrollen am Bendlerblock zu überwinden. Wir hatten uns unauffällig gekleidet und Schirme dabei, auf denen beim Aufspannen dann stand "Tucholsky hat Recht" und "Bundeswehr abschaffen". Damit sind wir im feierlichsten Moment auf den Platz gerannt. Ich wurde natürlich wie alle anderen verhaftet und auch meine Wohnung wurde durchsucht. Die Staatsanwaltschaft wollte uns wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz verknacken. Das war natürlich absurd. Die Verfahren endeten aber zum Teil erst nach Jahren mit Freisprüchen und Einstellungen.
Ich glaube auch heute noch, dass es wichtig ist, gegen die Bundeswehr zu protestieren. Und ich bin zuversichtlich, dass viele Menschen genauso denken wie ich. Die Bundeswehr setzt nicht nur auf längst überholte Rituale, sie ist an sich überholt. Krieg und Militär sind einfach keine Lösung. Inzwischen arbeite ich für eine Initiative, die sich für zivile Konfliktbearbeitung einsetzt. Auch bin ich immer noch bei den JungdemokratInnen/Junge Linke aktiv, die den Protest damals maßgeblich getragen haben. Auf kreativen Protest zu setzen ist nach wie vor richtig - auch wenn das schwieriger wird, weil sich die Bundeswehr mit immer aufwendigeren Sicherheitsvorkehrungen abschottet."
"Es gab gute Kontakte"
Stefan Gärtner* (35) würde auch heute den Protest unterstützen - vor allem aus der zweiten Reihe
"Ich gehöre zur ersten Generation, die von der wieder eingeführten Wehrpflicht in Berlin betroffen war. Bis nach der Wende mussten Berliner ja nicht zum Bund. Ich habe natürlich totalverweigert.
Mein erster Gedanke beim Gelöbnis: Die Bundeswehr will sich Öffentlichkeit verschaffen. Wie schaffen wir es, diese Öffentlichkeit zu nutzen und unsere Sicht der Dinge vorzuführen? Obwohl wir drei Sicherheitskontrollen passierten, gelang es uns, mit relativ vielen Menschen zu den Feierlichkeiten vorgelassen zu werden. Der heiligste Moment ist ja die Gelöbnis-Formel der Rekruten. Der Kompaniechef hatte keine zwei Sätze gesagt, da stürmten wir zu zwanzigst auf den Platz und lieferten uns ein Katz- und Mausspiel mit den Polizisten. Das Ganze dauerte etwa drei Minuten. Mir kam es vor wie eine halbe Stunde.
Die Polizei kann bis heute nicht klären, wie wir hineingekommen sind. Relativ schnell flatterte mir eine Anklage wegen Urkundenfälschung und Hausfriedensbruch ins Haus. Das Verfahren entwickelte sich zum großen Fiasko für die Staatsanwaltschaft. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich mit protestierte. Doch bei keinem von uns fanden sie Eintrittskarten. Ich wurde in allen Anklagepunkten freigesprochen.
Die Proteste zu den Gelöbnissen finde ich heute immer noch großartig. Heute würde ich mich zwar nicht mehr in die erste Reihe stellen. Das hat einfach mit meinen anderen Lebensumständen zu tun. Manche finden das feige. Aber ich unterstütze diesen antimilitaristischen Protest nach wie vor und bin für die Abschaffung der Bundeswehr. Proteste brauchen Leute, die Kontakte zu bestimmten Personen haben oder auch logistisch unterstützen können. Wir hatten das Glück, dass wir diese Leute damals hatten. Und ich hoffe, dass es auch in diesem Jahr wieder viele kreative Protestideen gibt. Ich helfe ihnen gerne."
* Name geändert
Gelöbnix-Highlights: Nackedeis zum Appell
1996 hatte die Bundeswehr erstmals seit der Nachkriegszeit an eine preußische Militärtradition angeknüpft und in der alten, neuen Hauptstadt wieder ein öffentliches Gelöbnis abgehalten. Für viele vor allem links und liberal eingestellte Westberliner ein Affront - waren sie bis zur Wende doch keine Wehrpflicht gewohnt und kannten Uniformen nur von freundlichen GIs. Das erste Gelöbnis endete vorm Schloss Charlottenburg mit Fanfare für eine Zwergenarmee - das der Bundeswehr zwei Tage später in einer Straßenschlacht zwischen Polizisten und Demonstranten.
1998 wurde das feierliche Militärzeremoniell vor dem Roten Rathaus abgehalten. Wieder kam es zu Protesten, an deren Spitze sich der noch nicht amtierende Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) stellte. "Wer öffentliche Gelöbnisse veranstaltet, muss sich selbst über Rechtsradikale und Neonazis in der Armee und in der Gesellschaft nicht wundern", wetterte er.
1999 fand das Gelöbnis im Bendlerblock statt, mittlerweile Sitz des Bundesverteidigungsministers. 30 Demonstranten mischten sich unter die Zuschauer, zogen ihre Oberteile aus und spannten Regenschirme auf, worauf das berühmte Tucholsky-Zitat stand: "Soldaten sind Mörder." Im Publikum: Trittins Parteifreundin Angelika Beer. Während der inzwischen zum Bundesumweltminister degradierte Grüne nicht mehr auftauchte, fand Beer die Proteste der Kriegsgegner "total daneben".
2000 bauten Demonstranten ein mobiles Wohnzimmer auf und blockierten Gelöbnis-Gäste den Zugang zum Bendlerblock. Wieder gab es aufgespannte Regenschirme. Die Aufschrift dieses Mal: "Tucholsky hat Recht."
2001 fuhren zwei Aktivistinnen mit einer gemieteten Luxuslimousine vom Hotel Adlon zum Bendlerblock und gaben sich als die Töchter des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping aus. Obwohl sie keine Einladung hatten, wurden sie durchgelassen. Im Bendlerblock ketteten sie sich an einen Zaun und nervten mit Alarmsirenen.
2003 tarnten sich 20 DemonstrantInnen als Jogger und Griller im Tiergarten und überwanden im Laufschritt die Sicherheitsabsperrungen. Zur gleichen Zeit protestierten drei Aktivisten vom Botschaftsdach der Vereinigten Arabischen Emirate. Sie hatten sich zwei Tage lang im Lüftungsschacht versteckt.
2004 rannten bei der Gelöbnisformel Aktivisten von der Pressetribüne über den Appellhofplatz. Seitdem werden nur noch ausgewählte Pressevertreter zugelassen. Es war die vorerst letzte Störaktion.
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