: Drüber statt außen rum
■ Auto-Geher Hartmann verurteilt. Vor Gericht Schnupperkurs im Car-Walken
Es geschah an einem Samstag im Juni 1995. Tatort: Chamissoplatz, Kreuzberg. Zwei Autos standen im Halteverbot. Die Fernsehkamera surrte, war auf Michael Hartmann, den „Auto-Geher“, gerichtet. Um eine gute Szene in den Kasten zu bekommen, spornte ihn die TV-Redakteurin an: Über zwei Autos hintereinander sollte er diesmal laufen. Hartmann machte es, schritt vom Kofferraum eines Kadett auf die Kühlerhaube eines Vektra. Und da war sie, die handtellergroße Delle. Beschädigt war auch der Kühlergrill. Der Sprung war etwas zu heftig geraten. Gestern nun stand der 29jährige „Car- Walker“ aus München vor dem Amtsgericht Tiergarten – und wurde wegen Sachbeschädigung zu 750 Mark Strafe verurteilt.
„Sie haben dabei ja richtige Schuhe an“, zeigt sich der Amtsrichter überrascht. „Ich dachte, Sie hätten Socken an.“ Hartmann, der ohne Anwalt erschienen ist, nutzt die Gelegenheit und gibt dem Gericht einen Schnupperkurs im Car- Walken. Voraussetzung: weiche Sohlen. Dann die Überschreit- Technik: Stoßstange, Motorhaube, Dach, „dann ein eleganter Sprung nach unten“. An die 2.000 Mal hat er das seit 1988 probiert, selten ist was passiert. „Ich glaube, daß ich das wirklich beherrsche.“
Ja, protestieren wolle Hartmann, gegen Autos im allgemeinen und Fußweg-Parker im speziellen, die das übliche Bußgeld nicht störe. Doch absichtlich beschädigen wolle er nichts. Und wenn doch, komme er für den Schaden selbstverständlich auf. So predige er auf seinen Car-Walking-Seminaren: „Immer nur auf die verstärkten Teile steigen“, nie auf die Kanten der Kühlerhauben treten – Dellengefahr. Warum er nicht die vom Staat vorgesehenen Protestmöglichkeiten wähle, fragt der Richter. „Weil man mit Car- Walking die Autofahrer präzise am Nerv trifft.“ Selbst um Polizeiwagen auf Gehsteigen macht er keinen Bogen: Im Januar walkte Hartmann in München über ein solches Gefährt. Drin saßen Beamte, die gerade einen Verkehrssünder aufschrieben...
„Es fällt mir schwer“, sagte der Richter – und sein andauerndes Schmunzeln verschwindet kurz aus seinem Gesicht –, „Sie zu verurteilen.“ Eigentlich habe Hartmann „mit vielen Dingen ja recht“. Doch ganz zu akzeptieren sei diese „Art von Faustrecht“ halt doch nicht. Denn würden alle zu solchen Mittel greifen, hätten wir bald „Mord und Totschlag“. Noch im Gericht kündigt der Autogeher Berufung an. Bernd Kastner
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