Drogenschmuggler schreibt über sein Leben: Konkurs, Koks und Karibik
Michael Weigelt sorgte als "Jamaika-Mike" für einen reibungslosen Drogenschmuggel. Heute liefert der langjährige JVA-Insasse nur noch Brötchen aus. Eine Begegnung.
In welche Kreise er geraten war, begriff Michael Weigelt erst, als der "Big Boss" einen Auftragsmörder auf ihn ansetze. Das war vor elf Jahren, Weigelt lebte in Jamaika. Ein Mann kreuzte bei ihm auf, gab sich als Bote aus und sagte Weigelt, dass der Big Boss mit ihm sprechen wolle.
Mit Weigelts Jeep fuhren sie gemeinsam zum Treffpunkt. Während der Fahrt warf Weigelt einen Blick in den Rückspiegel und sah, dass der Mann eine Browning unter der Jacke trug. Vor Schreck fuhr er in ein Schlagloch und nutzte die Gelegenheit, um eine Reifenpanne vorzutäuschen. Als der Auftragsmörder ausstieg und den Reifen begutachtete, schlug Weigelt ihn mit dem Wagenkreuz bewusstlos.
"Ich weiß nicht, warum, aber ich habe schon immer gelassen reagiert, wenn es brenzlig wurde", sagt Weigelt in einer Kneipe am Aachener Markt. Er hat graue, lockige Haare und trägt ein Jeanshemd mit Goldkettchen. Ein wenig sieht er wie ein gestrandeter Schlagerstar aus, der von seinen glorreichen Zeiten am Ballermann schwadroniert. Nur dass Weigelt nicht gesungen, sondern mit Kokain gehandelt hat - nicht von Mallorca, sondern von Jamaika aus.
Vodoo statt BMW
Über seine Zeit im internationalen Drogenhandel redet Weigelt auch deswegen offen, weil er ein Buch darüber geschrieben hat. "Jamaika-Mike" lautet der Titel. Die Geschichte beginnt 1998, als Weigelts Wirtschaftsberatung in Konkurs ging und er seinen BMW verkaufen und kellnern gehen musste. Er beschloss, mit seiner Freundin nach Jamaika zu ziehen, und verarmte dort so, dass er seine Klamotten am Straßenrand verkaufen musste.
Dann lernte er den Big Boss, einen Drogenhändler namens Paul, kennen. Der schlug ihm ein Geschäft vor. Weigelt sollte Kokainpaste nach London schmuggeln und für den Kurierdienst 10.000 Pfund, damals 30.000 Mark, erhalten. Vor dem Flug ließ ihn der Big Boss von einem Voodoo-Priester segnen. "Voodoo-Session durch Kokain finanziert" titelte die Lokalzeitung, als Weigelt später wegen Drogenhandels verurteilt wurde.
Die Entscheidung, auf das Angebot einzugehen, rechtfertigt Weigelt mit seiner damaligen Notlage. "Ich hatte noch nie mit Drogen gehandelt", sagt er, "aber es schien leicht verdientes Geld." Nach der ersten Kurierfahrt habe er aussteigen und mit dem Erlös eine Reisefirma in Jamaika gründen wollen.
Zu welcher Organisation der Big Boss gehörte, wurde ihm erst später klar. Das Kokain stammte vom kolumbianischen Cali-Kartell, das Jamaika bis heute als Stützpunkt benutzt, um das Kokain von dort aus nach Europa zu schaffen. Bis zu 100 Tonnen werden auf der Insel jährlich umgeschlagen.
Geld als Lockmittel
Das Honorar von 10.000 Pfund zahlte der Big Boss nie aus, sondern nutzte es als Lockmittel, um Weigelt ein weiteres Geschäft vorzuschlagen. Weigelt sollte als Teilhaber einsteigen, ein Drittel der Kosten übernehmen und dafür ein Drittel des Gewinns erhalten.
Im Gegenzug musste er Kuriere anheuern und dafür sorgen, dass das Koks unentdeckt nach Europa gelangte. Nach anfänglichen Schwierigkeiten begann das Geld zu fließen. Am Ende wurde Weigelt wegen 30 Kilo verurteilt, an jedem Kilo hat er 70.000 Mark verdient.
Bei einem Spaziergang durch die Aachener Innenstadt zeigt Weigelt, wo er die Drogengeschäfte abwickelte. Von der Telefonzelle am Markt aus telefonierte er mit dem Big Boss in Jamaika. Ein paar hundert Meter weiter wohnte einer seiner Kuriere.
Zwei Ecken weiter lebte ein Mann, der Weigelt mit deutschen Dealern in Verbindung bringen wollte. Am Ende der Straße befindet sich das Kaufhaus, in dem er sein Geld verprasste. "Damals lief ich mit 10.000 Mark im Portemonnaie herum, und wenn ich eine Lederjacke sah, die mir gefiel, dann habe ich sie gekauft", sagt Weigelt.
Stiefsohn als Kurier angestellt
Als Kuriere heuerte er unter anderem seinen Stiefsohn und einen alten Klassenkameraden an, den er zufällig an der Kasse einer Tankstelle traf. "Ich war erstaunt, wie leicht es war, Leute zu finden, die die Drogen schmuggeln wollten", sagt er. Darf man seinen Schilderungen glauben, stellten sich seine Kuriere allerdings bemerkenswert blöd an.
Da Paare weniger an der Grenze auffallen als allein reisende Männer, lud Weigelts Stiefsohn eine junge Frau ein. Wie sich herausstellte, arbeitete ihr Vater beim Zoll. Schon bald bewachte die Polizei die Gruppe. Weigelt wich über die Grenze nach Holland aus, zog von einem Ferienpark zum nächsten und setzte sich dann nach Jamaika ab.
Hier wollte er sich nach einigen weiteren Fuhren zur Ruhe setzen. "Es gibt in Jamaika einige Kuriere, die ausgesorgt haben und sich ein schönes Leben machen", sagt er. Das war auch Weigelts Ziel. Doch der Big Boss bootete ihn aus. Weigelt entschloss sich, auszusteigen und sich vom Ersparten eine Touristenpension zu bauen.
Seine Freundin wurde festgenommen, als sie ihn nach einem Streit verließ und nach Deutschland zurückflog. Trotzdem wähnte sich Weigelt sicher, weil Jamaika kein Auslieferungsabkommen mit Deutschland abgeschlossen hatte.
Ohne Bewährung
Geschnappt haben sie ihn am Ende trotzdem. Weigelt legt eine Kopie des Auslieferungsgutachtens auf den Tisch. Eine neue Spezialeinheit, die sich nicht wie der Rest der Polizei schmieren ließ, nahm ihn fest. Das Bundeskriminalamt hatte ein Amtshilfeersuchen an diese Einheit gerichtet und damit unerwartet Erfolg. 2004 wurde Weigelt zu sechs Jahren und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt. Seine Akte umfasste mehr als tausend Seiten. "Die hatten geglaubt, sie hätten einen richtig dicken Fisch", sagt er.
4.000 Exemplare hat Weigelt von seiner Gangsterballade "Jamaika-Mike - Ganja, Koks und Karibikträume" bisher verkauft. Der kleine Kölner Verlag Edition Steffan, in dem Weigelts Lebensbeichte erschienen ist, vertreibt seine Bücher erfolgreich in Hanfläden und Headshops und hat Weigelt dort als deutschen Howard Marks platziert - also als Pendant jenes britischen Drogenhändlers, der als "Mr Nice" zur Kifferikone aufstieg und dessen Autobiografie verfilmt wurde.
Marks hat auch ein Vorwort zu Weigelts Buch geschrieben und ist mit ihm in mehreren Städten aufgetreten. "Die Szene hat auf so ein Buch lange gewartet", sagt Verleger Frank Steffan.
Allerdings will Weigelt als Kifferikone nicht recht taugen. Er hat nicht Marihuana geschmuggelt, sondern Kokain. Sein Buch endet zwar zielgruppengerecht mit einem Plädoyer für die Drogenlegalisierung, Weigelt räumt aber reumütig ein, dass er sich besser an die herrschenden Gesetze gehalten hätte. Ihm fehlen Howard Marks' Witz und die Chuzpe, seine Verbrechen als revolutionäre Akte zu überhöhen.
Kein schlechtes Gewissen
Wenn man ihn fragt, ob er Gewissensbisse hat, weil er Süchtige mit Koks beliefert und dazu beigetragen hat, dass sein Stiefsohn im Gefängnis landete, laviert er. "Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte ein anderer die Drogen geschmuggelt", sagt er zuerst. Weder sein Stiefsohn noch dessen Mutter seien ihm jemals böse gewesen. Aber es genügen einige Fragen, und Weigelt gesteht, dass er sich sehr wohl manchmal Vorwürfe gemacht habe. "Am Ende war ich froh, als es vorbei war", sagt er.
Das Buch war für ihn auch eine Therapie. Abgeschlossen hat er mit der Zeit noch nicht. Das liegt auch daran, dass ihm der Neuanfang als braver Staatsbürger schwerfällt. Vorbestraften begegnet man mit Misstrauen, das erfährt er täglich am eigenen Leib. Jeden Morgen quält er sich vor vier Uhr aus dem Bett, um Brötchen auszufahren. "Das ist die einzige Stelle, die ich gerade kriege", sagt er.
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