Drogenpolitik in Berlin: Görli wieder grasgrün
Die Nulltoleranzzone im Görlitzer Park wird wieder aufgehoben. Polizei und Staatsanwaltschaft setzen weiter auf konzertierte Aktionen.
Schon in der Frühe stehen sie da. Die Mützen tief ins Gesicht gezogen, laufen die Afrikaner auf und ab, schlagen sich die Arme um den Körper, um sich zu wärmen. „Das sind ganz arme Schweine“, sagt ein Rollstuhlfahrer, der jeden Morgen mit dem Anblick konfrontiert ist, wenn er mit seinen Hunden in den Görlitzer Park rollt. „Und das alles für ein paar Cent.“
Wenn es wärmer wird, stehen auf der sogenannten Mainroad des Parkes, die von der Wiener zur Falckensteinstraße führt, bis zu 80 Afrikaner. Viele, aber nicht alle sind Dealer. Sobald die Polizei auftaucht, sind alle weg. Spurlos verschwinden sie in den Seitenstraßen. Sind die Uniformierten weg, dauert es nicht lange, und die Afrikaner sind wieder da.
Auch am Mittwoch war das so. Gegen 16.30 Uhr nehmen mehrere Mannschaftswagen in der Grünanlage Aufstellung. In ihren neonfarbenen Polizeiwesten weithin sichtbar flanieren Beamte durch das Gelände. „Seit das Wetter schöner ist, sind die Cops wieder draußen“, stellt ein auf einer Bank sitzender Mann mit grauen Haaren fest und lässt einen frisch gerollten Joint in der Brusttasche seiner Jacke verschwinden.
Die Vorsicht ist berechtigt. Eigentlich gilt in Berlin die Richtlinie, dass bis zu 15 Gramm Cannabis zum Eigenverbrauch straffrei bleiben. Nicht so im Görlitzer Park. Im März 2015 haben der frühere Innensenator Frank Henkel und der Justizsenator Thomas Heilmann (beide CDU) für die Grünanlage eine Nulltoleranzrichtlinie verhängt. Nicht einmal eine Jointfüllung ist erlaubt. Begründet worden war die Maßnahme seinerzeit mit einem ausufernden Drogenhandel im Park, zunehmend aggressiver auftretenden Dealern und einer deutlich gestiegenen Begleitkriminalität wie Körperverletzung und Raub.
Nirgendwo in Deutschland wird so viel gekifft wie in Berlin. Die Einführung einer Nulltoleranzzone – für viele war die rückwärtsgewandte Drogenpolitik der CDU eine Provokation. Dass die neue rot-rot-grüne Regierung diesen Passus nun ersatzlos aus der entsprechenden Verwaltungsvorschrift streichen wird, versteht sich also von selbst. In einigen Wochen soll die alte Vorschrift für den Görlitzer Park wieder gelten.
Zeit für eine Bilanz also. Was genau ist im Görlitzer Park in den vergangenen zwei Jahren geschehen? „Die Nulltoleranzstrategie hat nur zur Verdrängung und Verstärkung von Kriminalität an andere Orte geführt“, meinte Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Donnerstag bei der Plenarsitzung im Abgeordnetenhaus. Die Situation im Park habe sich sehr verbessert, sagte Monika Herrmann (Grüne). Aber das sei nicht auf die Nulltoleranzlinie zurückzuführen, sondern auf das Maßnahmenpaket, das Anwohner und Bezirk erarbeitet haben.
Das Paket ist von der Maxime getragen, dass man den Drogenhandel nicht grundsätzlich aus dem Park wegbekommen wird, das Leben aber dennoch erträglich machen kann. Seit Ende 2016 gibt es einen Parkmanager, Spielplätze wurden vergrößert, ein Toilettenhäuschen gebaut, die BSR macht täglich sauber. Demnächst sollen Sozialarbeiter eingestellt werden, die den Dealern Schranken, aber auch mögliche Auswege aufzeigen sollen.
Der Besitz von Cannabis ist in Berlin strafbar, aber bei Mengen von bis zu 15 Gramm für den Eigenbedarf stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren in der Regel ein.
Am 31. März 2015 tritt eine von der CDU erlassene neue Verordnung zum § 31a des Betäubungsmittelgesetzes in Kraft. Darin wird der Görli zur Nulltoleranzzone erklärt. Jeder, der dort von der Polizei mit Cannabis angetroffen wird, wird von der Staatsanwaltschaft verfolgt.
Die neue rot-rot-grüne Regierung vereinbart am 16. November 2016 im Koalitionsvertrag, die Nulltoleranzzone aufzuheben. Gleichzeitig wird eine gesellschaftliche Debatte über eine Entkriminalisierung von Cannabis angekündigt. Die SPD veranstaltet dazu im Februar 2017 ein Hearing. „Aber solange die Rechtslage so ist, wie sie ist, wird die Polizei den Besitz und den Handel bekämpfen“, so der Sprecher der Innenverwaltung Martin Pallgen. (plu)
Es hauptsächlich auf diese Maßnahmen zurückzuführen, dass sich die Situation im Park verbessert hat, wäre indes ein Irrtum. Denn die Einführung der Nulltoleranzzone war davon begleitet, dass Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Kräfte gebündelt haben. Bei der Staatsanwaltschaft gibt es seither eine eigene Zuständigkeit für den Görli. Bei der Polizei ein eigenes Kommissariat. Gezielte Observationen und Überwachungen auch von Telefonen hätten zu einer deutlichen Zunahme beweissicherer Festnahmen geführt, verlautet aus der Polizei. Verdeckte Ermittlungen nennt sich das. Über Käufer und Kleindealer sei es auch gelungen, an die mittlere Handelsebene zu kommen.
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigt das. Seit November 2014 wurde nach Angaben von Martin Steltner in 230 Verfahren U-Haft im Zusammenhang mit dem Görlitzer Park angeordnet. Dabei gehe es nicht nur um Rauschgifthandel, sondern auch um Begleitkriminalität wie Raub und Körperverletzung. „Das Ergebnis ist, dass die Begleitkriminalität im Görlitzer Park deutlich zurückgegangen ist“, so Steltner.
Die Auswirkungen der Nulltoleranzrichtlinie auf Konsumenten vermag Steltner nicht zu beziffern, sagt aber: Nahezu alle von der Polizei aufgeschriebenen Inhaber von Kleinstmengen seien „zu geringen Geldstrafen“ verurteilt worden. Nur bei Leuten, „die einen förderlichen Beitrag zur Tataufklärung“ geleistet hätten – etwa Bezichtigung des Dealers, bei dem man gekauft hat –, sei das Verfahren eingestellt worden. Auch das ist also Teil der Wahrheit. Es würde sie wundern, wenn jemand mit einem Gramm in der Tasche hopsgenommen worden sei, hatte Monika Herrmann noch kürzlich zur taz gesagt. „In Wirklichkeit war die Nulltoleranzzone doch ein einziger Henkel-Fake.“
Und was wird, wenn die Nulltoleranzzone Geschichte ist? Konsumenten, die mit Kleinstmengen erwischt werden, schreibt die Polizei auch weiterhin auf, aber eine Strafverfolgung wird es dann nicht mehr geben.
Und was ist mit dem Görli? Droht Kreuzbergs beliebtem Park unter Rot-Rot-Grün ein Rückfall in alte Zeiten? Auf die Nulltoleranzzone könne man gut verzichten, sagt ein Polizist. Aber nicht auf konzertiertes Vorgehen der Ermittlungsbehörden. „Das ist das eigentliche Geheimnis.“
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