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Drittligist Bielefeld im PokalfinaleUnfassbare Geschichte für Fußballromantiker

Arminia Bielefeld bezwingt den Deutschen Meister Bayer Leverkusen, zieht ins DFB-Pokalfinale ein und versetzt eine ganze Stadt in einen Rausch.

Bielefelder Ekstase nach dem Schlusspfiff Foto: Thilo Schmuelgen/reuters

Als Bielefeld am Morgen nach der unbändigen Freude und den Feiern bis tief in die Nacht erwachte, galt es zu überprüfen, ob all das wirklich wahr ist. In Chatgruppen reichten Fans Belege herum, von Zeitungsartikeln über Fotos und Videos vom Beben der Alm. Es galt, sich zu versichern, dass ihre Arminia wenige Stunden zuvor tatsächlich 2:1 gegen den Titelverteidiger und Meister Leverkusen gewonnen hatte, und zwar genauso verdient in 90 Minuten wie zuvor gegen die anderen Bundesligisten Union Berlin (2:0), Freiburg (3:1) und Bremen (2:1).

Als erster Drittligist haben die Biele­felder vier Bundesligisten aus dem Wettbewerb geworfen. Nun können sie der erste Drittligist werden, der den DFB-Pokal gewinnt und sich für die Europa League qualifiziert. Längst sind bei allen, die es mit der Arminia halten, die Vorbereitungen für die Reise ins Berliner Olympiastadion angelaufen. Wenn sich nur ein Teil dessen bewahrheitet, was auf den Partys in den Kneipen und im Club Café Europa in der Nacht nach dem Coup gegen Leverkusen besprochen und geplant wurde, dann kann sich die Hauptstadt auf fast schon schottische Verhältnisse gefasst machen.

Wie man es schaffe, die Alm mitzunehmen nach Berlin, war Arminias Trainer Mitch Kniat auf der Pressekonferenz gefragt worden. „Wird schwer“, sagte der 39-Jährige lachend, doch er könne sich „gut vorstellen, dass wir auch da den Vorteil nutzen können und mehr Fans haben im Stadion.“ Er sagte: „Ich glaube, wir werden da mit ganz Bielefeld anreisen, und ich bin gespannt, ob es da so viele Hotelzimmer gibt.“

Der Erfolg der Arminia ist eine Geschichte für alle Fußballromantiker. Sie erzählt von Kräften, die im Fußball und Leben zumindest punktuell noch mehr bewirken können als Macht und Geld oder eben die Finanzkraft eines Konzerns und seiner Werkself. Entgegenzusetzen hatte die Arminia einen Plan sowie ganz viel Zusammenhalt und Leidenschaft.

Enorme Identifikation

Hinzu kam eine Atmosphäre im Stadion, die der Siegtorschütze Maximilian Großer „Wahnsinn“ nannte. „Schon vor’m Anpfiff, bei der Erwärmung, wie da schon die Stimmung war, das war einfach atemberaubend“, sagte der Verteidiger, „das macht diesen Verein auch aus, diese Fans, das ist einfach klasse.“ Was er nach dem Abpfiff gedacht habe? „Gar nichts, ich war einfach nur geschockt. Mir kamen die Tränen, weil das ist einfach unfassbar.“

In der Tat gibt es in der Stadt eine enorme Identifikation mit der Arminia, die wie ein Kitt quer durch die Bevölkerung wirkt. Bielefeld ist Arminia und Arminia ist Bielefeld. Wer in dieser Stadt aufwächst oder lebt, kann kaum anders, als mit diesem Klub mitzufiebern. Womöglich hat das damit zu tun, dass die Bielefelder mit und durch die Arminia den ungerechtfertigten Ruf ihrer Stadt als langweilig widerlegen wollen. Es ist ein Trotz, der auch Bestand hat, wenn der Verein die Nerven des Anhangs mal wieder überstrapaziert. Wie mit der maßgeblichen Rolle im Bundesligaskandal, mit wirtschaftlichem Dilettantismus oder dem Pendeln zwischen den Extremen durch mehrere Durchmärsche von der dritten in die erste Liga und Abstürze in die Gegenrichtung. Wie zuletzt, als Bielefeld von der Bundesliga 2022 binnen drei Jahren fast bis in die Regionalliga durchgereicht wurde.

Es ist für diesen Klub nur konsequent, dass er ein Jahr später mit dem Einzug ins Finale des DFB-Pokals den größten Erfolg seiner Geschichte feiert, passend zum 120. Klubgeburtstag am 3. Mai. Aber auch jetzt müssen mit den Pokaleinnahmen von fast zehn Millionen Euro vor allem Löcher gestopft werden. Dabei schien es zunächst, als sei Leverkusen eine Nummer zu groß für die Arminia. Anfangs war Leverkusen besser und ging durch Jonathan Tah in Führung (17.). Doch Marius Wörl glich prompt mit seinem dritten Pokaltor dieser Saison aus (20.), ehe Louis Oppie einen Freistoß so scharf vors Tor flankte, dass Großer nur den Fuß hinhalten musste (45.+3).

Erstaunlich war, dass es die Bielefelder mit ihrem mutigen Attackieren der gegnerischen Aufbauspieler schafften, Leverkusen vom gewohnten Kombinationsstil abzubringen. Stattdessen probierte es Xabi Alonsos Elf mit langen Bällen, verlor aber gefühlt jedes Duell um einen zweiten Ball. Arminia ließ den Ball und Leverkusen laufen. „Fast nichts hat funktioniert“, klagte Alonso später. „Wir konnten nicht den Leverkusen-Fußball spielen“, sagte Torwart Lukáš Hrádecký und beglückwünschte die Arminia für „eine Leistung des ganzen Stadions, des ganzen Vereins“.

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2 Kommentare

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  • Mal wieder Zeit für ein bisschen Heimweh nach good old Bielefeld - bin zwar vor 20 Jahren von da in den Kessel gezogen, aber ich gönn's euch von Herzen und drücke euch die Daumen, Arminen, dass ihr den Pokal holt!

  • Ach, Briegel, beame mich nach Bielefeld,



    denn Bielefeld ist was mir gefällt ... die ödeste Stadt der Welt.



    Bernd das Brot, Sie finden es leicht.



    Herzlichen Glückwunsch zu dieser Überraschung, die Bundesligisten wahrscheinlich studieren werden. Der Trainer Bielefelds dürfte nun schon einige höherklassige Angebote im Mailpostfach haben.



    Leipzig und Stuttgart sind zwei Clubs, die Erfolg einkaufen wollten. Bielefeld gönne ich es zugegeben mehr, auch wenn sie in der Europa League dann doch sang- und klanglos untergehen dürften ... aber wer weiß?