Dritte Startbahn am Münchner Flughafen: Mitten in der Wirbelzone

Wird die dritte Startbahn am Münchner Flughafen gebaut, liegt das Dorf Attaching direkt in der Einflugschneise. Die Einwohner wehren sich gegen die Pläne.

Sitzen gegen die Startbahn: Attachinger protestieren beim Oktoberfestumzug im September. Bild: dapd

Wenn Ludwig Grüll zeigen will, wie es in Attaching einmal sein wird, wenn die dritte Startbahn am Münchner Flughafen den Betrieb aufgenommen hat, dann fährt er ein kleines Stück aus dem Ort hinaus. Westlich von Attaching, zwischen Maisfeldern und hochgewachsenen Pappeln, dort wo sich zwei Fußwege kreuzen, hält er an. "Flughafen 2,5 Kilometer" weist ein Schild in Richtung Süden. Hier fliegen die Maschinen die bereits bestehende nördliche Startbahn an.

"Da hinten kommt einer", sagt Grüll und beschattet die Augen mit der Hand. Still blickt er zum Himmel, fixiert die Maschine, die am Horizont schnell größer wird und mit lautem Getöse so dicht über seinen Kopf fliegt, dass man fast glaubt, die Passagiere hinter den Fenstern ausmachen zu können. Erst als das Flugzeug vorbei ist, setzt Grüll wieder an. Er hat sich daran gewöhnt, dass es zwecklos ist, während des Überflugs zu sprechen.

"So wird's dann bei mir", sagt er mit einer Mischung aus Resignation und Sarkasmus, die bei vielen Attachingern zu hören ist, seit die Regierung von Oberbayern Anfang August den Planfeststellungsbeschluss für die dritte Startbahn erließ und damit den Bau des umstrittenen Projekts genehmigt hat.

Um den Bau der zusätzlichen Startbahn abzuwenden, bleiben den Attachingern nur noch die Klage und der Protest auf der Straße. Sollte all das nichts nützen, könnten die Flugzeuge zu Hauptverkehrszeiten im Abstand von zwei Minuten in einer Höhe von 70 bis 100 Metern über Grülls Grundstück brausen. Und Grüll müsste zukünftig ziemlich viel schweigen.

Doch damit nicht genug: Nur wenige Minuten nach dem Überflug peitschen Windböen wütend durch die Pappeln und ein Zischen ist zu hören, als zöge eine unsichtbare Hand eine Peitsche durch die Luft. "Das sind die Wirbelschleppen", sagt der Energieanlagen-Elektroniker Grüll; Luftverwirbelungen, die hinter den Turbinen entstehen und die je nach Größe der Maschine an Geschwindigkeit gewinnen.

Es droht ein Sonnenschirmverbot

Mit Inbetriebnahme der dritten Startbahn würde Attaching zum sogenannten Wirbelschleppenrisikogebiet – mit geradezu skurrilen Folgen: Auf dem Sportplatz des BC Attaching könnte nicht mehr gespielt werden. Die Bälle würden von den Wirbelschleppen verweht und würden nicht mehr in gerader Linie fliegen. Sämtliche Dachziegel des Ortes sowie der weiß-blaue Maibaum in der Mitte des Dorfes müssten auf die Stabilität ihrer Verankerung geprüft und im Zweifelsfall verstärkt werden, damit sie den Wirbelschleppen standhalten. Auch dürfen die Attachinger keine handelsüblichen Markisen oder Sonnenschirme mehr aufstellen, weil diese Windböen der Stärke 6 nicht überleben.

All das hat die Regierung von Oberbayern in einem Planfeststellungsbeschluss zur dritten Startbahn akribisch geregelt. Doch was mit den Menschen geschehen soll, die künftig in der Einflugschneise leben müssen, dazu steht darin kein Wort. "Wenn wir eine bedrohte Tierart wären, dann hätte man uns bestimmt schon ganz behutsam umgesiedelt", sagt Ludwig Grüll verbittert. "Aber als Menschen sind wir offenbar nicht schützenswert."

Lediglich ein Angebot macht der Planfeststellungsbeschluss den Attachingern: Diejenigen, die besonders stark betroffen sind, können den Ort gegen eine Entschädigung verlassen. Für die meisten Attachinger ist das keine akzeptable Lösung.

Michael Buchberger von der Bürgerinitiative Attaching breitet mehrere Landkarten auf dem Küchentisch aus. "Durch den Bau der dritten Startbahn wird unser Dorf geteilt", sagt der 37-Jährige Informatiker und fährt mit dem Finger eine grüne Linie auf der Karte nach. Sie markiert einen 420 Meter breiten Streifen quer durch den Ort, den die Flugzeuge überfliegen werden. Wer hier lebt, kann bis zu fünf Jahre nach Inbetriebnahme der Startbahn Haus und Grund an die Flughafen München GmbH verkaufen. Alle anderen, die rechts und links von dieser Schneise wohnen, müssen bleiben, wenn sie Haus und Hof nicht dreingeben wollen. Außer der Betreibergesellschaft des Flughafens wird sich für Häuser in dieser Lage kaum ein Käufer finden.

Das über Jahrhunderte gewachsenes Dorf mit dem kleinen Kramerladen, den Einfamilienhäusern und alten Bauernhöfen, an deren Holzbalkonen die Geranien blühen, die eingeschworene Gemeinschaft der 1.000 Attachinger, in der jeder jeden kennt und in der die Menschen gerne mal für ein Schwätzchen auf der Straße stehen bleiben, würde zerrissen, fürchten die Attachinger, wenn eine unbewohnte Schneise das Dorf durchzieht. Aber auch diejenigen, die wegziehen könnten, fühlen sich bedroht.

"Hier hab ich alle meine Spezln, ich will hier nicht weg."

"Ich bin hier zu Hause", sagt Ludwig Grüll. "Ich bin hier geboren und zur Schule gegangen, hier hab ich alle meine Spezln, ich will hier nicht weg." Zusammen mit seinen betagten Eltern bewohnt der 54-jährige Witwer ein geräumiges Haus auf einem rund 3.000 Quadratmeter umfassenden Grundstück. Das Gehöft ist einer der ältesten Bauernhöfe am Ort. Seine Eltern bauten noch Pfefferminztee im Erdinger Moos an. Heute ranken sich Tomatenpflanzen und Blumenrabatten vor dem ehemaligen Kuhstall.

Auch die Höhe der Entschädigung wurde im Planfeststellungsbeschluss festgelegt. Es gelten die Grundstückspreise vom 5. November 2007. Damals war der Bau der dritten Startbahn bereits im Gespräch. Die Grundstückspreise seien, anders als in den umliegenden Gemeinden, nicht mehr gestiegen, beklagen sich die Attachinger. "Mit dem Geld, das ich jetzt für mein Grundstück bekommen würde, bekomme ich im benachbarten Freising eine Dreizimmerwohnung", sagt Grüll resigniert.

Seit Jahren engagieren sich die Attachinger gegen den Bau der dritten Startbahn in der Bürgerinitiative und im Bündnis der Startbahngegner "AufgeMuckt", dem alle Gemeinden, die von der Startbahn betroffen wären, angehören. Seitenweise Beanstandungen haben sie beim Anhörungsverfahren eingereicht. "Die haben einfach alle Einwendungen vom Tisch gewischt", sagt Grüll.

Die Begründung von Seiten der Flughafenbetreiber ist pragmatisch: "Wir haben 30 verschiedene Standortlösungen gegeneinander abgewogen", sagt Flughafensprecher Ingo Anspach. Die nun gewählte Variante sei jene, bei der trotz größtmöglicher Start- und Landekapazitäten die wenigsten Menschen betroffen seien. Wie so oft bei großen Bauvorhaben müssen Einzelne für den von den Betreibern prognostizierten Nutzen der Allgemeinheit leiden.

Selbst die CSU ist gespalten

Für die Betroffenen ist das schwer zu verstehen. Dementsprechend enttäuscht sind sie von der Politik. Einst war die ganze Region fest in CSU-Hand. Mittlerweile sympathisieren viele Anwohner mit den Grünen, die von Anfang an gegen den Bau waren. Selbst die CSU ist gespalten.

Während die Parteispitze an dem Bauvorhaben festhält, traten kürzlich acht Kommunalpolitiker im ebenfalls betroffenen Freising aus Protest gegen das Bauvorhaben aus der CSU aus. Von Christian Ude, der bei der nächsten Landtagswahl gegen den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer antreten will, wollen die Attachinger nichts wissen.

"Ach, der Ude", sagt Grüll und winkt ab. Mit seinem Bekenntnis zu dem Bauvorhaben hat es sich der Münchner Oberbürgermeister bei den Startbahngegnern verscherzt.

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