Drill, Diziplin und dauernd Regen

■ Am Rande der Deutschen Jugendmeisterschaften im Kunst- und Turmspringen / Angespannte Kids und nervöse Eltern im Olympia-Schwimmstadion / Landesspringwart Rolle: „Nur Training macht den Meister“

„Hey, paß auf! Soooo mußt du das machen!“, aufgeregt, hochrot im Gesicht, brüllt ein Vater sein Töchterchen an. „Siehst du? Soooo!“ Anschaulich streckt der ehrgeizige Papa Arme und Beine von sich und geht stehend in die Rückenlage. Töchterchen nickt aus luftiger Höhe vom Dreimeterbrett, tut so als hätte sie kapiert und macht sich ans Werk. Es folgt ein Moment der Konzentration, kein Anlauf, einmal federn, dann der Sprung ins temperierte Naß: einfacher Salto mit Hechtrolle - Väterchen strahlt zufrieden übers ganze Gesicht, als „seine Kleine“ aus dem Wasserbecken wieder zum Vorschein kommt.

Deutsche Jugendmeisterschaften der Kunst- und TurmspringerInnen im Olympia-Schwimmstadion: 120 Kids plus Elternteil versuchen, zu Meisterehren zu kommen. Die Jüngsten sind neun Jahre jung, einige sind schon volljährig. Im Moment wird nur geprobt. Obwohl es in Strömen regnet, herrscht auf den Sprungbrettern ein reges Treiben. Letzte Vorbereitungen, bevor es dann ernst wird. Der Wettkampf soll nämlich erst fortgesetzt werden, wenn Petrus wieder milde gestimmt ist.

„Das Kunstspringen“, erläutert der Berliner Landesspringwart Karl-Heinz Rolle, „ist eine unheimlich aufwendige Sportart.“ Mindestens drei Jahre tägliches Training seien erforderlich, so Rolle, um „überregional mithalten zu können“. Übungen am Trampolin gehörten ebenso dazu wie eine ständige Korrektur der Bewegungsabläufe.

„Und die Asse nehmen sogar Ballettunterricht“ - man hört aus den Worten des Springwartes heraus, daß Drill und Disziplin die obersten Heiligtümer sind, um seinen durchtrainierten Körper so ins Wasser schrauben zu können, daß die fünf Kampfrichter am Beckenrand gute Noten verteilen.

Alles ist schön säuberlich voneinander getrennt: Jungs und Mädchen, fünf verschiedene Altersklassen, Pflicht und Kür eine Flut von Siegerehrungen steht an. Eine Fanfare erklingt. Die ersten Zehn ihrer Klasse werden namentlich nach vorne gerufen, dürfen ein Gewinnertreppchen besteigen. Sieger und Verlierer, fällt mir in diesem Augenblick ein, davon lebt nicht nur der Sport.

Alle bekommen Urkunden, überreicht durch einen Herrn des Deutschen Schwimmverbandes. Zehnjährige beglückwünschen sich per Handschlag, klopfen sich auf die Schultern. Applaus. Abgang. Die Zeremonie wiederholt sich etliche Male. Und weil Silke „so toll gekämpft hat“, bekommt sie einen Lolly - das Deutschlandlied hätte gut in diese Szenerie gepaßt.

14.00 Uhr, endlich Sonne. Das Kunstspringen der weiblichen Jugend B steht auf dem Programm. „Ein ganz kritisches Alter“, raunzt ein Wettkampfleiter, „die 14jährigen Mädels rennen heutzutage ja lieber in die Disco.“

Zwölf Springerinnen aus dem gesamten Bundesgebiet sind am Start. Nach einem der acht Durchgänge, in dem jeweils ein anderer Sprung gezeigt werden muß, geht der uns inzwischen vertraute Papi wieder in die Offensive. Mit erhobener Hand zeigt er auf seinen seinen gedrückten Daumen. Töchterchen springt, Papis Gesicht erstarrt und wird schließlich verzweifelt in den Händen vergraben - ein letztes Zeichen für uns, daß wir bei dieser Veranstaltung nicht richtig aufgehoben sind...

Später erfahren wir von dpa, daß die Duisburgerin Christin Hennemann mit großen Vorsprung gewann. Als beste Berlinerin ging Constanze Lüdke vom SC Poseidon vom Brett.

Holger Schacht