Dresdner Klarer

Schnitzel mit hausgemachten Kroketten und Champignons. Die letzten Ostmärker hat Sigrid Retzlass aus Eisenhüttenstadt für ein Essen im ersten Haus am Platz ausgegeben. Das Hotel Lunik, heute geschlossen, verlangte immerhin stolze fünfzehn Mark für den Schmaus. Zuvor hat sie noch Toilettenpapier und Schreibwaren gehortet, „alles andere war im Westen billiger“, sagt sie. Der Rest wurde dann umgerubelt. Die erste große Anschaffung diente dem Anschluss an die neuen Zeiten: Ein Amigarechner für 850 Mark. Geblieben ist von ihm die Erinnerung an die tolle Grafikkarte.

Erinnern kann sich Sigrid Retzlass auch an das viele Geld, das vor der Währungsunion plötzlich auf der Straße rumflog. Niemand wollte sich mehr nach den Aluchips bücken, obwohl Münzgeld noch länger im Umlauf blieb und 1:1 umgetauscht werden konnte.

Das hatte auch der Dresdner Sven Tauchert zu spät mitbekommen: Noch den letzen Groschen hat er zusammen mit seinen Freunden versoffen. Zur DDR-Abschiedsparty vor der Währungsunion gab’s Dresdner Klaren und Bier aus der Kaufhalle. Auf seinem Konto war gar nichts, seine Verwandtschaft nutzte es als Wechseldepot. Zum Dank für den 1:1 Tausch hat Sven ein Paar Schuhe bekommen. Das erste Westgeld floss, sicher nicht ganz im Sinne der Erfinder, in die Agitation. Sven war damals Mitglied in der Friedens- und Umweltgruppe „Pax“. Für 99 Mark kaufte er erst mal ein Megaphon.

Zootierinspektor Bernd Geidel, ebenfalls aus Dresden, gab sich hingegen den klassischen Wonnen des Konsums hin: Für hundert harte Mark gönnte er sich einen Walkman. Seine Tochter Kerstin sparte lieber und fuhr nach Schottland. Die Währungunion nahm Familie Geidel gelassen hin. Das Ostgeld blieb einfach auf dem Konto. In der Wohnung fanden sich nach Jahren noch kleinere Restbestände der Exwährung.

Thomas Wenzel aus Berlin, heute Angestellter bei der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur, ging schon im September 1989 „rüber“. Sein letztes Ostgeld verteilte er unter seinen Freunden. Die fünfzig Mark Empfangsgeld aus Bayern hat er sich zur Erinnerung aufgehoben. Die ersten verdienten Westmoneten hat er in die Gastronomie des Freistaates getragen.

Ernüchternd war der erste Westeinkauf für Silvia Böhm, 33. Die Berlinerin kaufte sich eine Westschrippe und konnte es nicht fassen: Das Teil zerfloss ihr im Mund. Heute ist sie Kundenserviceleiterin bei einer Versicherung und kauft wieder Ostschrippen. Den letzen Hundertmarkschein Ost verwahrt sie als Erinnerung.

MARTIN REICHERT