Dresden nach dem Sieg gegen Schalke: Brennende Herzen
Der Charme des Neuanfangs: Drittligist Dynamo Dresden versöhnt sich mit seinen Fans, die sich über einen Sieg gegen Schalke 04 freuen dürfen.
DRESDEN taz | Gerade waren die Schalker Spieler in ihrer Kabine verschwunden, da meldete sich eine Stimme aus dem Hintergrund: „Aufgrund eines unvorhergesehenen Ereignisses bitten wir Sie, umgehend das Gebäude zu verlassen.“ Es war ein heißer Pokalabend, und doch brannte es nirgendwo; vielleicht hatte jemand auf den falschen Knopf gedrückt. Der Alarm war aber geschlagen, zumindest für den FC Schalke 04.
Der Bundesligist ist mit 1:2 bei Dynamo Dresden am Montagabend zum ersten Mal seit 1991 in der ersten Runde des DFB-Pokals ausgeschieden und schon muss Sportdirektor Horst Heldt wieder früher, als ihm lieb ist, Fragen zu seinem Trainer Jens Keller beantworten. Der sprach nach dem Abpfiff spontan von fünf Spielern, „die heute Totalausfälle waren“.
Später auf der Pressekonferenz, nach nochmaligem Durchzählen, hatte er bereits „sechs, sieben Spieler, die ihre Leistung nicht aufgerufen haben“, ausgemacht. Einzig den schuldlosen Torhüter Ralf Fährmann und den bemühten, aber glücklosen Eric-Maxim Choupo-Moting dürfte Keller nicht gemeint haben.
Ansonsten wurde der Champions-League-Teilnehmer seinen Ansprüchen zu keiner Zeit gerecht, auch wenn Jefferson Farfan oder Leon Goretzka noch verletzt fehlten und die Weltmeister Julian Draxler und Benedikt Höwedes zunächst geschont wurden. Schwer vorstellbar jedenfalls, dass die Defensive der Schalker in naher Zukunft Topmannschaften stoppen kann, wo ihnen am Montag Marvin Stefaniak, Luca Dürholtz und allen voran Justin Eilers immer wieder entwischten.
Aus der Stadt gejagt
Neue Namen, an die man sich erst gewöhnen muss: Denn Dynamo Dresden musste mal wieder einen Neuanfang einleiten. Die alte Mannschaft war nach dem Abstieg in die dritte Liga aus der Stadt gejagt worden. Es blieben Torhüter Benjamin Kirsten, Sohn von Sturmlegende Ulf Kirsten, die Mittelfeldspieler Cristian Fiel und Marco Hartmann sowie ein paar Nachwuchstalente wie Stefaniak.
Die neuen Verantwortlichen um Sportdirektor Ralf Minge und Trainer Stefan Böger setzen auf junge Talente, bevorzugt bei Erstligisten ausgebildet. Die mitunter schwierige Fanszene nimmt den neuen Weg nach den enttäuschten Hoffnungen in den alten Kader gerne an. Kenner der Dresdner Fanszene meinen, dass sich die Ausbrüche beim Abstieg gegen Arminia Bielefeld über Wochen angedeutet hatten, weil sich Anhänger und Spieler immer weiter voneinander entfernt hatten. Mit dem Abstieg hätte sich der angestaute Frust Bahn gebrochen.
Gegen Schalke präsentierten sich alle, die es gut mit dem sächsischen Traditionsverein meinen, von ihrer besseren Seite. Im ausverkauften Dresdner Stadion trieb das Publikum, unter ihnen auch der in Dresden lebende Innenminister Thomas de Maizière, die stark verjüngte Mannschaft an, statt sie einzuschüchtern. Rund ums Stadion blieb es ruhig, auch wenn die Partie allein wegen des Fanaufkommens von beiden Seiten als Sicherheitsspiel eingestuft wurde.
Selbst die Plattform mit dem Live-Spiel im Fernsehen nutzten die Dynamo-Fans diesmal nur zu einem Seitenhieb gegen den Deutschen Fußball-Bund (DFB), der den Verein in der vorigen Saison nach mehreren Vorfällen bei Pokal-Partien in Dortmund und Hannover vom DFB-Pokal ausgeschlossen hatte. Weitere Provokationen blieben aus, zumal Dynamo Dresden wegen Vorkommnissen gegen Bielefeld in der Vorsaison derzeit auf Bewährung agiert.
Schulterschluss mit den Fans
Die neue Mannschaft ließ sich am Montag spürbar von der leidenschaftlichen Atmosphäre anstecken. Dynamo zeigte alle Qualitäten, die ein unterklassiger Verein für eine Pokalsensation braucht, und hatte am Ende auch das nötige Glück.
Nach der Pokalüberraschung übten sämtliche Spieler den Schulterschluss mit den euphorischen Fans und kletterten zu ihnen auf den Zaun. Ein in anderen Stadien schon gewohntes Bild, das in Dresden mit der vorherigen Mannschaft undenkbar war. Von der Alarmanlagendurchsage hörten die Dresdner unten auf dem Rasen und dem Zaun nichts. Bei ihnen herrscht eh Aufbruchsstimmung. Nur ein Los könnte diese am Samstag jäh trüben: RasenBallsport Leipzig.
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