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„Draußen hören die Bombardements nicht auf“

■ Auszüge aus einem Telefongespräch mit einer Moslemin in der Nähe von Sarajevo

Nicht nur in Sarajevo herrscht Krieg, auch Dutzende weiterer Städte in Bosnien-Herzegowina sind umkämpft. Kurz bevor am Mittwoch die Telefonleitungen endgültig unterbrochen waren, rief eine bosnische (moslemische) Emigrantin aus Hamburg bei ihrer Schwester in Vogosca, fünfzehn Kilometer außerhalb Sarajevos, an. Die Mehrheit des Dorfes gehört der moslemischen Volksgruppe an, doch gibt es auch Kroaten und Serben in Vogosca. Die Bosnierin, die der Redaktion bekannt ist, aber ihren Namen verschweigen möchte, nahm das Gespräch für die taz auf:

Wir sind alle am Leben: 32 Enkelkinder und wir zehn Geschwister. Alle sind auf einem Haufen. Ich bin gerade aus dem Schutzkeller rausgekommen, weil die Armee uns den Strom für eine Stunde eingeschaltet hat. Ich weiß gar nicht, was ich erst tun soll. Das Brot backen oder den Wasserbehälter mit Wasser füllen [...] Im Geschäft bei Vera sind die Regale leer. Nur noch paar alte Kekse [...] Draußen hören die Bombardements nicht auf [...] Um den Strom auszunutzen, habe ich den Fernseher eingeschaltet. Das Sarajevoer Programm meldet gerade, daß die Listen von Massakrierten von Biljesevo heute eingetroffen sind. Dreimal der gleiche Name, fünfmal der gleiche Name. Komplette Familien wurden massakriert, Kinder, Eltern. Der Kommentator sagt, daß Augenzeugen berichteten, wie die maskierten Mörder in den Ort kamen, alle Menschen aus den Häusern herausholten und sie massakrierten, ohne auch nur ein Wort mit ihnen gesprochen zu haben [...] Das Brot ist fertig gebacken. Es sind nur zwei Krusten, eine unten, eine oben. Wir haben keine Hefe und kein Backpulver. Seife und Waschmittel gibt es auch nicht mehr. Wenn unsere Mutter leben würde, wäre so was nie passiert. Erinnerst du dich, wie oft sie in den Keller hinuntergestiegen ist, um zu überprüfen, daß immer genügend Vorräte da sind? Kriegsvorräte, wie sie sagte: Zucker, Seife, Öl, Salz, Mehl. „Der Krieg wird wieder kommen“, sagte sie, „und dann werdet ihr nichts zu lachen haben.“ Erinnerst du dich? Wir haben nun wirklich nichts mehr zu lachen. 18 Tage sitzen wir hier nun schon in den Schutzkellern [...] Unser ältester Bruder ist ja Kommandant einer Einheit. Unsere Brüder sind sehr stolz darauf, daß es in der Einheit Katholiken [Kroaten], Orthodoxe [Serben] und Moslems gibt. Sie sind ja alle von hier, und alle verteidigen sie die Stadt gemeinsam [...] Das Licht geht aus. Die Kerze will ich mir für morgen aufsparen. Ich gehe wieder in den Schutzkeller hinunter.

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