: „Dramatische Situation“
Die Kulturbehörde verlangt von den Hamburger Öffentlichen Bücherhallen Einsparungen von 900.000 Euro in den kommenden zwei Jahren. Ein Interview mit Bücherhallen-Chefin Hella Schwemer-Martienßen über die Konsequenzen
von Petra Schellen
Das erste Entsetzen ist verflogen, die immensen Sparforderungen der Kulturbehörde bleiben: Überproportional sind für den Haushalt 2005/2006 die Hamburger Öffentlichen Bücherhallen (HÖB) betroffen, deren Zuwendungen um 300.000 Euro und dann noch einmal um 600.000 Euro gekürzt werden. Ein harter Brocken angesichts der seit zehn Jahren stagnierenden Subventionen. Wir fragten HÖB-Leiterin Hella Schwemer-Martienßen nach Perspektiven.
taz: Wie wollen Sie weitere Gelder einsparen, ohne dem System HÖB dauerhaften Schaden zuzufügen?
Hella Schwemer-Martienßen: Kurzfristig wird das nicht möglich sein. Die entstehenden Verluste müssen über Jahre abgebaut werden. Die Kultursenatorin hat eine Expertenkommission eingesetzt, die ihre Arbeit spätestens im August aufnehmen wird. Sie wird mit uns gemeinsam beraten, ob das, was wir selbst schon ausgerechnet haben, mit den Überlegungen der Kulturbehörde übereinstimmt und wie die Sparvorgaben erfüllt werden können. Das Problem ist allerdings, dass das operative Geschäft weitergeht und wir nicht jede Entscheidung bis Dezember vertagen können. Denn durch ein Hinauszögern dessen, was betrieblich notwendig ist, tritt eine große Verunsicherung und Demotivierung unter den Mitarbeitern ein. Ich bin aber sicher, dass der Handlungsrahmen, den die HÖB haben, sehr schnell ausgelotet werden kann und muss.
Wird es Entlassungen geben?
Die Kultursenatorin hat betriebsbedingte Kündigungen auf der letzten Sitzung des Stiftungsrats kategorisch ausgeschlossen. Und ich möchte genauso wenig zu solchen Mitteln greifen.
Was kann also schlimmstenfalls passieren?
Wir werden Einrichtungen schließen müssen. Und auch hier muss es für die Mitarbeiter schnell Klarheit geben. Und natürlich für unsere Kunden.
Wie könnte man mit der Situation umgehen?
Ich denke, es muss möglich sein, Teile des operativen Geschäfts zu entkoppeln aus dem Gesamtauftrag der Expertenkommission. Es gibt Entscheidungen, die eilig sind, während man sich für andere etwas Zeit lassen kann.
Für welche zum Beispiel?
Die Gesamtstruktur des Systems muss unter die Lupe genommen werden, wobei zu entscheiden ist, welche Angebote in welchem Zeitrahmen verändert werden müssen, wie wir zeitgerecht am Markt bleiben können und welche Formen der Finanzierung über die Zuwendungen und Einnahmen hinaus denkbar sind.
Welche Bereiche wollen Sie im jedem Fall erhalten?
Die Angebote der Leseförderung. Die Bücherhallen sind die ersten Bildungspartner im außerschulischen Bereich, und dass die HÖB in die Curricula der ersten bis achten Klassen aufgenommen wurden, ist einmalig in Deutschland und ein absolut zu schützendes Gut.
Wie verhält es sich mit den Zweigstellen: Gibt es Stadtteile, in denen Sie niemals eine Bücherhalle schließen würden?
Das lässt sich so kategorisch nicht beantworten. Denn ich muss schon beobachten, in welchen Stadtteilen die Bibliothek ein echter Anlaufpunkt ist und wo nicht. Der Akzeptanzgedanke ist ein wichtiger Faktor und nicht so sehr die Maxime „Problemstadtteil gleich Bücherhalle“.
Widerspricht diese Haltung nicht dem Bildungsauftrag der HÖB?
Man kann den Menschen die Bildung nicht hinterhertragen. Damit wäre ein Institut unserer Größenordnung überfordert. Wir können viel dafür tun, der nachfolgenden Generation die Faszination der Bücher- und Medienwelt zu zeigen. Aber die Bücherhalle kann nicht die sozialen Probleme eines Stadtteils lösen.
In welcher Dimension könnten sich die Standortschließungen bewegen?
Darüber möchte ich jetzt keine Aussage treffen, weil das davon abhängt, welche Rahmenbedingungen wir mit der Kulturbehörde aushandeln können. Das ist auch für die Expertenkommission wichtig. Die Einschnitte werden spürbar sein.
Klar ist aber, dass zweimal 300.000 Euro gespart werden müssen.
Tatsache ist, dass innerhalb von 24 Monaten sogar 900.000 Euro an Ausgaben vermindert werden sollen. 300.000 dieses Jahr plus, ausgehend von der dann schon um 300.000 Euro reduzierten Zuwendung, nochmals 300.000 – das sind zusammen 900.000 Euro. Wenn die Tarifsteigerungen dazukommen – rund 350.000 bis 400.000 Euro pro Jahr – wird deutlich, dass dies eine Riesenbelastung ist. In den nächsten Jahren haben wir kaum Ruheständler, können also kaum Personalkosten – 65 Prozent aller Zuwendungen – abbauen. Ab 2007/2008 werden dann – bedingt durch die Alterspyramide der HÖB – jedes Jahr 15 bis 20 Menschen in den Ruhestand gehen. Eine zeitliche Verzögerung der Einsparverpflichtung, wenn sie denn sein muss, wäre politisch vernünftig und vertretbar und würde am Ende Dienstleistung erhalten helfen.
In Ihrem Jahresbericht erwähnen Sie unrealistisch gewordene Ansprüche der Öffentlichkeit.
Damit meine ich die Forderung, dass – wie in den letzten zehn Jahren angesichts stagnierender Zuwendungen bereits geschehen – ständig weiter eingespart werden soll, ohne dass die Kunden es merken. Es soll ein Umbau sein, der keine Folgen hat, und das geht eben nicht. Folgen gab es natürlich: Wir haben heute fast 140 Stellen und 14 Standorte weniger als vor zehn Jahren. Parallel haben wir einen Modernisierungsprozess vollzogen, Stichworte: Internet, technische Infrastruktur, Zentral- und Kinderbibliothek. In der Statistik ist die Leistung gleich geblieben.
Sie haben einmal gesagt, dass es keine Tabus geben dürfe, was die Gewohnheiten des HÖB-Teams betrifft.
Erst einmal: Die schwierige betriebliche Kommunikation haben wir überwunden. Heute wird mit großer Sachlichkeit argumentiert und geplant. Der Strukturwandel bei den HÖB war ein allumfassender Lernprozess. Wir überprüfen unsere Dienstleistung immer neu und suchen nach Lösungen: Sind unsere Bibliotheken zur richtigen Zeit geöffnet? Oder müssen wir unsere Dienstleistung auf die vermehrte Anstrengung, Ganztagsunterricht in Hamburg einzuführen, einstellen? Können wir neue Angebote machen, um mit den Schulen den Tag über in Kontakt zu bleiben? Warum sollen Schüler nicht auch in der Bibliothek lernen? Eine andere unbequeme Frage: Können wir HÖB-Mitarbeiter, auf Privilegien verzichten?
Welche könnten das sein? Gehaltsverzicht?
In den ostdeutschen Ländern gibt es das. Das ist sehr unpopulär, aber man könnte ausloten, ob nicht bestimmte Gehaltsgruppen aufs Urlaubsgeld oder auf Teile davon verzichten können. Vielleicht könnte man auch Mitarbeitern, die es sich leisten können, mit einer Übergangszahlung den verfrühten Ruhestand schmackhaft machen.
Ungeachtet all dieser Details: Hätten Sie einen Vorschlag für eine realistische Planung?
Wenn man von uns verlangte, etwa bis 2010 eine bestimmte Summe einzusparen: Dann könnte man ganz anders planen als unter der derzeitigen Vorgabe. Aber die zeitliche Platzierung der Sparforderung macht die Situation wirklich dramatisch.