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Drakonische Strafen

■ betr.: „Gewöhnung ans Skanda löse“, taz vom 18. 7. 96

Jedesmal, wenn eine Gesellschaft ein Problem für unlösbar verkaufen will, wird der Ruf nach drakonischen Maßnahmen laut. Die Diskussionen über Arbeitslosigkeit und Jugendgewalt weisen eine Vielzahl von Parallelen auf. Doch die Drohung mit härteren Strafen für jugendliche Gewalttäter, von Jan Feddersen befürwortet, greift ins Leere. Aus einschlägigen Erfahrungen geht hervor, daß mehr Staatsgewalt automatisch mehr Gewalt von der Gegenseite provoziert. Schließlich sitzt die eine Hälfte der straffälligen Jugendlichen hinter Gittern, die andere Hälfte ist bereits tot: Modell USA.

Dabei geht es hier nur um Symptombekämpfung. Rassistische und menschenverachtende Gewalt ist derzeit allgegenwärtig, nicht nur auf der Seite der (rechten) Jugend. Der Unterschied zwischen prügelnden Berliner PolizistInnen, zum Brechen reizenden Bremer PolizistInnen und jagenden ostdeutschen Jugendlichen ist nur das Aussehen. Seit der Wiedervereinigung haben PolitikerInnen, ganz vorne die InnenministerInnen, die Position sowohl von AusländerInnen als auch von ostdeutschen Jugendlichen skrupellos und gezielt verschlechtert. Nun wird die Rechnung präsentiert, und es werden links und rechts die Schuldigen gesucht. In Lübeck sollen es die AusländerInnen selbst gewesen sein, im Osten sollen nun – so meint Feddersen – wieder Arbeitslager für Unangepaßte eingerichtet werden.

Wo Eltern und Schule versagt haben, gibt man dem/r Jugendlichen die Schuld für sein/ihr antisoziales Verhalten. Man bestempelt ihn/sie als Nazi und spricht die Unverbesserlichkeitsformel aus: „Dieser Weg ist am Ende“. Wir sind gut, ihr seid böse. Die Erwartung, daß Jugendliche, die in ihrem bisherigen Leben nur Entwürdigung und Gewalt begegnet sind, wüßten wie „die Würde des Menschen ist unantastbar“ in der Praxis aussieht, ist genauso illusorisch wie die Mutmaßung, daß 16- bis 17jährige bereits politische Hardliner sein könnten, unwahr ist. Im letzten Fall wäre es konsequent, das Wahlrecht auf 16- oder gar auf 14jährige auszuweiten.

Daß sozialpädagogische Maßnahmen, die unter anderem darauf abzielen, den Jugendlichen mit dem Begriff Würde vertraut zu machen und die Ursachen der Gewalt an der Wurzel zu fassen, keine positiven Auswirkungen hätten, kann ich aus eigener Erfahrung als Streetworker, der zweieinhalb Jahre mit einer rechten Jugendclique gearbeitet hat, widersprechen. Die Gewaltbereitschaft nahm während der Betreuung merkbar ab. Natürlich reichen StreetworkerInnen alleine nicht. Auch die Eltern, die Schule und der Staat (Lehrstellen, Umgang mit AusländerInnen) tragen Verantwortung. Der erste Schritt zur Würdigung des Gegenübers wäre eine Auseinandersetzung statt einer Verdammung. Das große Schweigen der Eltern dieser Jugendlichen, der direkten Umgebung, der LehrerInnen steht in schrillem Kontrast zu den Äußerungen der Betroffenen (zum Beispiel in der Pro-7-Sendung „Reporter“ vom 17. 7. 96). Anscheinend wird diesen – zum Teil erschütternden – Parolen und Aussagen von der Umgebung nicht mehr widersprochen. Diese Jugendlichen wurden „aufgegeben“ – wie von Feddersen auch. Diese Aufgabe fördert den Prozeß der Selbstentwürdigung, und somit nimmt die Gewaltbereitschaft beziehungsweise Menschenverachtung weiter zu.

Hier ist Zivilcourage gefragt und nicht die Ohnmacht des Knastes. Wer die Träger der gesellschaftlichen Probleme aussperrt („aus dem Verkehr zieht“) – wie Kanther es mit den Kurden macht –, will die Probleme nicht diskutieren, sondern unter den Teppich kehren. Und das bringt weder den jetzigen noch den zukünftigen Opfern von Jugendgewalt irgend etwas. Menschenwürde kann nicht durch Entwürdigung gelernt werden.

Leider passiert es immer häufiger, daß gerade von der Seite derjenigen, die am meisten unter dem (Polizei-)Staat zu leiden haben, gerade zu diesem Thema die Staatsgewalt (hier plötzlich nicht faschistisch besetzt) als Mittel zur Lösung unterstrichen wird. Eine Falle, in die nun auch Jan Feddersen getreten ist. [...] Ronald Matthyssen, Bremen

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