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Drahtseilakt über Arkadien

Potsdams Stadtentwicklung in den kommenden Jahren nennen Kritiker ein „Horrorszenario“. An der Peripherie werden riesige Wohn- und Gewerbeparks gebaut, während die historische Innenstadt vernachlässigt wird und teilweise verfällt  ■ Von Ansgar Oswald

Wer von Berlin aus über die Glienicker Brücke Richtung Potsdam fährt, dem eröffnet sich das Panorama der havelländischen Seen- und Parklandschaft. Doch diese Idylle trügt. Die Entwick- lung Potsdams, die von je her in großen Sprüngen erfolgte, droht nun dieses kulturlandschaftliche Arrangement zu ruinieren. Kritiker sprechen von einer dritten Stadtzerstörung, die nach Kriegseinwirkungen und sozialistischer Architektur im quadratisch-praktischen Plattenformat zu erwarten ist. Die Ursachen dafür liegen nicht allein in der Gestaltung geplanter Projekte, sondern im Stadtentwicklungskonzept als Ganzem.

Potsdam, ehemals Inbegriff des janusköpfigen Geistes von Preußen, wendet sich zielstrebig von dem Image der Garnisonstadt ab. Entsprechend ambitioniert sind die Entwürfe, um der brandenburgischen Landeshauptstadt mit derzeit rund 137.000 Einwohnern und als Oberzentrum eines Einzugsgebietes mit über 330.000 Menschen ein eigenes Profil zu verleihen. Bis zum Jahr 2010 soll sich Potsdam als Tourismus- und Kongreßstadt, Dienstleistungs- und Verwaltungsstadt, Medien-, Kultur-, Universitätsstadt sowie als Park- und Gartenstadt präsentieren. Nach den „Grundsätzen zur Stadtentwicklungsplanung“ von 1993 weiß man sich dem architektonisch-künstlerischen Erbe zumindest verbal verpflichtet. Folglich wurde die „Pflege und Wiederherstellung des historischen Stadtbildes“ zum Axiom erhoben. Das über zwei Jahrhunderte gewachsene havelländische Arkadien soll durch eine „behutsame Abstimmung von Stadtentwicklung und Landschaftsplanung“ erhalten werden. „Innen- vor Außenentwicklung“ heißt die Zauberformel, mit der eine Zersiedlung und Überformung der Kulturlandschaft verhindert werden soll. Doch ein Blick auf den Flächennutzungsplan genügt, um festzustellen, daß Potsdam einen Drahtseilakt riskiert. Denn einen verbindlichen Landschaftsplan gibt es nicht, und so wird der Flächennutzungsplan zum Selbstläufer.

In der Hoffnung, etwas vom Kuchen des Regierungsumzugs abzubekommen, ist der Flächennutzungsplan auf maximal 170.000 Einwohner ausgelegt. Vor allem im Südosten und im Nordraum der Stadt sind bis zum Jahr 2010 große Neubaugebiete für Gewerbe, Villensiedlungen und neue Stadtteile geplant. Die Entwicklung einer polyzentralen Struktur mit eigenen Versorgungszentren soll den Kiezen und Stadtvierteln, vor allem aber auch den zu DDR-Zeiten an der südöstlichen Peripherie entstandenen Satellitenstädten zu einer Identität verhelfen.

Noch in diesem Jahr wird auf der Brache um den Stadtbahnhof der Grundstein für das Potsdam- Center gelegt. Dieses Projekt fungiert nicht nur als Klammer zwischen der Potsdamer und Babelsberger Innenstadt und der Speicherstadt als künftigem Berlin- brandenburgischen Landtags- und Kongreßviertel an der Havel. Sondern das Potsdam-Center wird mit seinen Büro- und Wohnflächen, Geschäftshäusern, dem Hotel und Multiplex-Kino auf einer Bruttogeschoßfläche von 190.000 Quadratmetern — davon 35.000 Quadratmeter Einzelhandelsfläche — die Rolle einer „Stadt in der Stadt“ übernehmen.

Der Präsident der deutschen Unesco-Kommission, Peter Canisius, nennt die gigantomanische Quadratur ein „Horrorszenario, das nicht ausführungsreif ist“. Das hindert den Kreis um den agilen Baudezernenten Detlef Kaminski und seinen ebenso rührigen Adlatus, den Stadtbaudirektor Richard Röhrbein, nicht, das unausgegorene Milliardenprojekt durchzudrücken.

Die dominante Baumasse des neuen Stadtzentrums wird nicht nur die Topographie der Kulturlandschaft empfindlich beeinträchtigen, sondern auch unabsehbare Folgen für die labile Handelsstruktur der alten Stadtkerne haben, die sich nachts in Geisterstädte verwandeln. Grundstückspreise von tausend Mark und mehr pro Quadratmeter, hohe Sanierungskosten und spärliche Fördermittel, eine Quote von fünfzig Prozent restitutionsbelasteter Gebäude, die langwierige Klärung offener Vermögensfragen und Leerstandsspekulationen blockieren darüber hinaus die Sanierung der Innenstadt erheblich. Baustadtrat Detlef Kaminski rechnet deshalb nicht vor dem Jahr 2010 mit einem Abschluß der Innenstadterneuerung.

Eigentlich lag das alte Zentrum Potsdams an der Havel. Doch wo sich einst ein Architekturensemble mit Hohenzollernresidenz, Nikolai-, Heiliggeist- und Garnisonkirche erstreckte und die Silhouette der Stadt prägte, findet sich heute ein ödes und zerfahrenes Stadtbild. Die seit 1991 fruchtlose und von einer abstrusen Schelte gegen die moderne Architektur begleitete „Suche nach dem verlorenen Bild“ hat nun zu einem ersten Ergebnis geführt. Im April werden die Entwürfe eines Wettbewerbs für die Gestaltung des Alten Marktes mit Schloß und Wasserstadt als neuem Stadtzentrum an der Havel öffentlich ausgelegt. Das Konzept, eine Mischung aus moderner Interpretation des Stadtraums und Rekonstruktion, dürfte das emotionale Gezänk um die verlorene Mitte der Stadt erneut zum Siedepunkt treiben.

Während eine halbe Milliarde in eine Schloßkulisse investiert wird, um den Nostalgietrip diverser Romantiker zu befriedigen, vergammelt am Neuen Markt das letzte altstädtische Barockensemble. Deutlicher kann der Widerspruch zwischen Stadtreparatur und Erhalt historischer Bausubstanz nicht sein. Kein Wunder, denn seit Jahren klagt Stadtkonservator Andreas Kalesse umsonst einen Denkmalpflegeplan ein.

Diese Planungsquerelen werden sich langfristig bitter rächen. Denn unterdessen schießen an der Peripherie die Stadtteilzentren wie Pilze aus dem Boden. Diese Tendenz steht im krassen Widerspruch zu dem Grundsatz der Stadtplanung, wonach „die bessere Nutzung der vorhandenen Siedlungsräume Vorrang vor der Inanspruchnahme von Freiflächen am Stadtrand“ habe.

Im Südosten befinden sich das Waldstadt-Center, das Ende 1995 eröffnet wurde und das Stern-Center vis-à-vis zum Kirchsteigfeld — mit rund 2.800 Wohnungen das größte Wohnneubaugebiet in den neuen Bundesländern. Das direkt an der A 115 gelegene Stern-Center, ein Konsumparadies mit über 35.000 Quadratmeter Einzelhandelsfläche und 100.000 Quadratmeter Bürofläche soll im Herbst seine Tore öffnen. Bis 1997 wird unmittelbar angrenzend ein Erlebnis- und Freizeitpark Stern/Drewitz mit Multiplex-Kino und 14.000 Quadratmeter Einkaufsfläche entstehen. Deutlich zielen diese Einrichtungen auf den Berliner Raum und binden zugleich die Kundschaft der Einzelhändler in der Innenstadt.

Auch mit der „Medienstadt im Grünen“ auf dem ehemaligen Ufa- und Defa-Gelände in Babelsberg wächst eine dichtbebaute Busineß- City mit Dienstleistungsbereichen, Hotels, Läden und ungewissem Film- und Medienanteil als Konkurrent zu den alten Stadtkernen heran. Angesichts der asynchronen Entwicklung der neuen Stadtteilzentren und alten Stadtkerne, könnte dieser Trend für die historischen Stadtkerne die kommerzielle Auszehrung und der Absturz ins museale Dasein bedeuten.

Eine der bundesweit größten Stadtentwicklungsmaßnahmen ist das ehemals militärisch genutzte Bornstedter Feld. Hier ist eine komplette Wohn-, Arbeits- und Parkstadt für circa 17.000 Einwohner und mit 5.000 Arbeitsplätzen vorgesehen. Doch den hochfliegenden Pläne folgte bereits die erste Ernüchterung. Von dem ambitionierten Entwurf einer Öko- und Solarstadt hat man sich getrennt.

Nicht nur die Baupläne im Bornstedter Feld, sondern auch die geplanten Stadtvillen im Katharinenholz, Bornim-Bornstedt und Eiche werden von der Unesco mit Skepsis verfolgt. Die dichte Bebauung droht die großzügige Feldflur und die Schlösser- und Gartenlandschaft von Sanssouci zu beeinträchtigen. Da ist es kaum tröstlich, wenn Stadtbaudirektor Richard Röhrbein versichert, daß die „Stadtgestaltung von heute den Anschluß an das hohe Gestaltungsniveau vergangener Zeit“ an- strebt. Beispiele der Nachwendezeit, wie die Villensiedlung am Glienicker Horn unweit der Glienicker Brücke, haben eher das Gegenteil gelehrt. Sie lassen befürchten, daß die Banalität der DIN- Norm das Maß aller Dinge sein wird.

Denn die neuen Stadtteilzentren werden auch durch ihre Lage und die Infrastruktur mit ihrem Staubsaugereffekt auf die Kundenströme dank des ausgeheckten Verkehrskonzepts neuen Verkehr erzeugen. Mit dem Potsdam-Center ist der Bau einer innerstädtischen Entlastugsstraße, die den Stadtteil an die Avus und später bei Werder an den Berliner Ring anbinden soll.

Um die Innenstadt in ein barockes Flanierparadies zu verwandeln, wurde ein kostspieliges und ebenso verstaubtes Parkhauskonzept aus der Schublade gezaubert, das neue Verkehrsprobleme vorprogrammiert. Der Entwurf widerspricht dem Vorsatz, „stadtverträgliche Voraussetzungen durch Verkehrsvermeidung und den Vorrang des öffentlichen Personennahverkehrs“ zu schaffen. Der „schrittweise Ausbau der Straßenbahn zur modernen Stadtbahn“, wie im Flächennutzungsplan angekündigt, beschränkt sich auf wenige Alibistrecken.

Somit wird die einmalige Chance, einen städtischen Raum neu zu gestalten, ähnlich wie in Berlin, weder städteplanerisch noch architektonisch für eine modellhaft ökologische Neuorientierung genutzt. Im Gegenteil: Mit dem Versuch, Metropolis zu werden, läuft Potsdam Gefahr, seine traditionellen Qualitäten gänzlich aufs Spiel zu setzen.

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