Dossier Arabische Revolution: "Wir sangen die Lieder unserer Eltern"
Sie sind sich nicht in allem einig - drei junge Ägypter, die bei der Revolution dabei waren. Ein Chat-Gespräch über Islamisten, Eltern und eine neue Verfassung.
taz: Salma, Ashraf, Sherif, habt ihr erwartet, dass die Proteste gegen Mubarak erfolgreich sein würden?
Sherif: Ich habe nie geglaubt, dass Demonstrationen in diesem Land etwas bringen. Wir haben 30 Jahre in einer Diktatur gelebt.
Salma: Du befürwortest doch eher Stabilität als Wandel.
Sherif: Ja, ich habe immer Stabilität bevorzugt, obwohl ich nicht glücklich war. Ich dachte immer, es wird sich etwas ändern, wenn Mubarak tot ist.
Ashraf: Da war ich anderer Meinung. All die Probleme Ägyptens hängen nicht allein an einer Person, sondern am System, dem alten Regime.
Salma: Genau.
SALMA SHUKRALLAH, 26, ist Journalistin bei Ahram Online und engagiert sich in der Gruppe Kollona Moqawm.
ASHRAF ZEITOUN, 28, ist Ingenieur und in diversen linken Gruppen in Ägypten engagiert.
SHERIF MORSI, 28, ist Chemieingenieur und politisch nicht aktiv.
Diese und andere Stimmen aus der arabischen Welt können Sie in der Donnerstagsausgabe, 17. Februar, in der taz auf sechs Seiten lesen. Die Beteiligten des Aufstands in Ägypten, Tunesien und anderen arabischen Ländern sprechen über ihre Ziele, Hoffnungen und Ängste. Am Kiosk oder am E-Kiosk, www.taz.de/ekiosk.
Ashraf: Und dieses Regime ist immer noch an der Macht und der Kampf noch nicht vorbei.
Salma: So wie du, Sherif, hatten viele ihren Glauben verloren, das sie selbst etwas ändern können. Ein Sieg wie dieser gibt den Menschen Vertrauen, vor allem ein so hart erkämpfter, für den Hunderte starben.
Vertraut ihr den Militärs?
Ashraf: Ich nicht.
Sherif: Bisher traue ich ihnen, sie haben noch nichts getan, was mich zweifeln lassen würde.
Salma: Ashraf und ich trauen ihnen nicht, aber wir glauben auch nicht, dass sie die Macht übernehmen wollen.
Sherif: Ich bin mir sicher, dass sie das nicht wollen.
Ashraf: Wir zahlen jetzt den Preis dafür, dass wir keine Führung haben. Die Militärs sind Teil des Systems, und ihre Hände sind nicht rein. Viele der jetzigen Gouverneure waren zuvor Generäle und in Korruption verwickelt.
Sherif: Es ist komplizierter.
Was meinst du damit, Sherif?
Sherif: Nach dem 28. Januar hat die Armee nichts gegen das Volk unternommen.
Ashraf: Aber so hast du nicht gedacht, als das alles anfing, du hattest Angst, sie würden putschen.
Sherif: Ich hatte Angst, als die Ausgangssperre verhängt wurde. Aus Erfahrung wissen wir, dass das nicht gut ist. Aber dieses Mal haben sie zum Volk gehalten.
Ashraf: Aber Tantawi [der Verteidigungsminister; d. Red.] ist immer noch an der Macht.
Sherif: Er ist nicht allein.
Salma: Die Soldaten haben uns nur nicht angegriffen und versucht, halb neutral zu bleiben. Aber sie haben uns nicht beschützt.
Wollt ihr ein politisches System wie das in Westeuropa?
Salma: Nein.
Ashraf: Wir versuchen nicht, ein Modell zu kopieren.
Salma: Außenpolitisch gibt es da große Differenzen zu Westeuropa. Zum Beispiel die Palästinafrage und die Abkommen mit Israel. Da sind die meisten dagegen.
Sherif: Ich will keine islamische Regierung.
Salma: Niemand will das. Wie kommst du darauf?
Sherif: Ich sage nur, wovor ich Angst habe: dass eines Tages die Muslimbruderschaft an der Macht ist.
Salma: Aber sie haben selbst gesagt, sie wollen eine zivile Regierung.
Ashraf: Das Problem ist, dass die meisten liberalen Ägypter nicht an der Politik teilhaben.
Salma: Ein Argument der alten Regierung gegen Demokratie.
Sherif: Das stimmt nicht, Salma. Ich habe immer gedacht, dass die derzeitigen Parteien eine Rolle spielen müssen. Das haben sie bisher nicht, weil sie alle auf die ein oder andere Weise mit dem Regime verbunden sind. Alles, was ich will, ist ein ziviler Staat.
Salma: Da stimmen wir überein. Aber ich glaube, dass die Islamphobie, die propagiert wird, Propaganda ist, um Demokratie in Ägypten zu verhindern.
Ashraf: Die Islamphobie lässt die Leute denken, der Islam sei ein Angriffsziel und sie müssten für ihre Religion kämpfen. Und das schürt Wut und Rassismus.
Gibt es einen Common Sense in der Bevölkerung, wie eine neuen Verfassung aussehen kann?
Ashraf: Schwer zu sagen, wir hatten keine ordentlichen Wahlen oder Umfragen. Aber ich weiß, es gibt große Unterschiede zwischen dem, was man in Westeuropa, und dem, was man in Ländern wie Ägypten glaubt. Etwa was nichtreligiöse Ehen angeht.
Sherif: Das stimmt.
Ashraf: Das muss sich ändern, aber nicht durch Zwang.
Sherif: Aber religiöse Parteien sollten nicht zugelassen werden.
Salma: Das ist scheinheilig, warum solltest du selbst anerkannt werden, aber nicht sie? Sie müssen jede Form der Ehe akzeptieren - und wir müssen ihre Existenz akzeptieren.
Sherif: Ist irgendwer dazu bereit?
Salma: Ich schon. Und ich glaube, wir sind schon nah dran.
Ashraf: Ich muss dazu bereit sein, da ist keine Wahl. Wie sollte ich sonst von Demokratie sprechen können? Die Türkei ist ein gutes Beispiel. Die Armee dort schützt den zivilen Staat. So sollte es auch bei uns sein.
Muss eine politische Revolution mit einer Revolution der Gesellschaft einhergehen?
Ashraf: Ich glaube, die Menschen sind dabei, sich zu verändern. Aber das wird lange dauern.
Salma: Armut und Korruption haben die schlechtesten Seiten der Menschen hervorgebracht.
Sherif: Stimmt.
Ashraf: Und die Revolution die besten.
Salma: Ja. Auf dem Tahrir-Platz waren die Menschen anders. Kooperativ und tolerant.
Wird das anhalten?
Salma: Nein.
Ashraf: Nein, aber ich glaube, wenn sich das politische System ändert, werden sich auch die Menschen ändern.
Sherif: Das ist ein langer Prozess. Was den Staat angeht, müssen wir kurzfristiger denken. Er muss wieder laufen, als Staat des Volkes, nicht mit einem neuen Diktator.
Salma: Das Polizeisystem muss ein anderes werden.
Sherif: Das sollte in der Verfassung stehen.
Ashraf: Das Problem mit der Polizei ist, das sie an ihre Macht, die sie durch das Notstandsgesetz hat, gewohnt ist. Korrupt ist sie auch.
Was ist mit den Frauenrechten?
Ashraf: Das überlasse ich Salma.
Sherif: Ja, Salma.
Salma: Ich glaube, dass Frauen, wenn sie die Chance dazu haben, ihre Bedürfnisse aussprechen und sich von denen lösen werden, die sich "Frauenrechte-Organisation" nennen und vom alten Regime gelenkt waren.
Ashraf: Ich glaube, gute Bildung und ein besserer Lebensstandard werden schon viel erreichen.
Salma: Als Frau und Aktivistin bin ich insbesondere von der Polizei bekämpft worden. Sie wollten mich mit sexueller Belästigung einschüchtern. So lange ist das nicht her.
War eure Rebellion auch eine gegen eure Eltern?
Sherif: Ich glaube schon. So wie ich das ich wahrnehme, will die ältere Generation vom Militär regiert werden.
Salma: Die Revolution wandte sich gegen den Glauben, dass wir selbst nichts tun können.
Ashraf: Aber das heißt nicht, dass da ein Kampf zwischen Generationen stattfand. Es ist eher eine Kontinuität.
Salma: Ja, sogar die Lieder, die wir gesungen haben, sind die unserer Eltern. Es ist wie ein alter Kampf, der gerade erst gewonnen wurde.
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