Dossier Arabische Revolution: Fragen von heute und von morgen

Alle wollen eine neue Verfassung. Aber wie soll diese aussehen? Warum Ägypten eine Volksversammlung braucht, die alle Kräfte im Land einbindet.

Nicht nur die Zäune auf dem Tahrir-Platz brauchen einen frischen Anstrich, auch die Verfassung muss erneuert werden. Bild: dapd

So etwas wie die Revolution in Ägypten (und zuvor in Tunesien) hat es bislang nicht gegeben. Vernetzt über das Internet, aber ohne politische Führung haben es die Ägypterinnen und Ägypter geschafft, mit friedlichen Mitteln und einem hohen Maß an Einigkeit einen solchen Despoten wie Husni Mubarak zu stürzen.

Aber ist es wirklich schon eine Revolution? Der Definition nach natürlich nicht. Die Forderungen des Aufstands sind noch nicht erfüllt, die gesellschaftlichen Strukturen haben sich noch nicht verändert. Aber wir genießen gern die Kraft dieses Wortes: Revolution. Und wir brauchen dieses Wort, damit die Leute spüren, welch großen Schritt sie bereits gegangen sind, aber auch, damit sie wissen, was alles noch vor ihnen liegt.

Die lange Zeit der Unterdrückung und die Brutalität des Polizeiapparats haben zu einer großen Einigkeit zwischen den verschiedenen politischen und ideologischen Strömungen und quer durch alle gesellschaftlichen Klassen, Milieus und Altersgruppen. Alle wollen die Diktatur überwinden; alle sprechen von einem zivilen Staat und meinen nicht nur einen nicht-militaristischen, sondern auch einen nicht-religiösen Staat. Selbst die Muslimbrüder, die sich erst später der Revolution anschlossen und nur ein kleiner Teil von ihr waren, teilen im Moment diese Forderung.

Aber sobald die Debatte über die neue Verfassung beginnt, wird es mit dieser Einigkeit vorbei sein. Denn der Teufel steckt im Detail: Was wird zum Beispiel aus dem 1971 eingeführten Artikel Zwei der Verfassung, der besagt, dass Ägypten ein islamischer Staat und die Hauptquelle der Gesetzgebung die Scharia ist?

Diese und andere Stimmen aus der arabischen Welt können Sie in der Donnerstagsausgabe, 17. Februar, in der taz auf sechs Seiten lesen. Die Beteiligten des Aufstands in Ägypten, Tunesien und anderen arabischen Ländern sprechen über ihre Ziele, Hoffnungen und Ängste. Am Kiosk oder am E-Kiosk, www.taz.de/ekiosk.

Der zweite Punkt: Im Moment stimmen aller darin überein, dass sie soziale Gerechtigkeit wollen. Aber sobald wir darüber diskutieren, wie dieses Ziel in konkrete Politik umgesetzt werden kann, werden wir die Differenzen merken. Denn natürlich gibt es auch bei uns Kräfte, die das Land mit einer neoliberalen Politik voranbringen wollen. Wir hingegen sind für Mindestlöhne und wollen, dass Güter wie Bildung, Gesundheitsversorgung, Transportmittel usw. für die Masse erschwinglich bleiben.

All das sind wichtige Fragen. Aber es sind dies die Fragen von morgen.

Die von heute ist eine andere: Schon in den ersten Tagen wurde klar, was die größte Schwäche dieses Aufstands ist: das Fehlen einer richtige Führung. Dass ermöglicht es opportunistischen Kräften, auf der hohen Welle zu reiten. Tatsächlich hat das Regime ja versucht, irgendwelche politische Kräfte aufzutreiben, um mit ihnen zu verhandeln und so Mubaraks Kopf zu retten. Und es haben sich welche angeboten, obwohl immer klar war, dass die Masse jegliche Verhandlungen mit dem Regime ablehnt.

Deswegen lautet mein Vorschlag, den auch andere - keineswegs nur linke - richtige Oppositionelle teilen: Die künftigen Verhandlungen sollten über eine Mandatierung erfolgen. Das heißt, unsere Aufgabe ist es, eine Art Volksversammlung einzuberufen, die die jungen Cyberspace-Aktivisten von heute ebenso einschließt wie jene, die in den letzten 30, 40 Jahren richtige Opposition gemacht haben. Damit sie von den Massen akzeptiert wird, müsste diese Versammlung müsste alle Kräfte einschließen. Dann wäre sie auch dazu legitimiert, Einzelne zu beauftragen und zu sagen: Du gehst in unserem Namen in diese Verhandlungen und setzt die folgende Punkte durch. Ob diese Aufgabe der oder die übernimmt, ob das zwei oder zehn oder zwanzig Leute machen, spielt dann keine Rolle.

Aus vielen Diskussionen mit den jungen Aktivisten weiß ich, dass es bei sehr vielen von ihnen ein Bedarf nach einer Organisation gibt. Sie wissen: Die Revolution kann nicht nur Software bleiben, sie muss auch die Hardware erreichen. Natürlich wird es eine Organisation in der Form, wie wir sie in den Siebzigerjahren hatten, nicht geben. Aber eine neue, eine andere Form - weder eine Organisation, die militärisch geführt wird und den Einzelnen knebelt, noch der lose Austausch über das Internet. Etwas dazwischen. Und dafür brauchen die Jungen uns, also die mit den weißen Haaren, genauso wie wir sie brauchen.

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