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Doris Akrap So nichtAndalusische Tour: Spiel mir das Lied von der Plastikplane

Sehr geehrte Damen und Herren,herzlich Willkommen zu unserer heutigen Führung durch die Ausstellung Europa, Abteilung Andalusien. Legen wir los.

Sie sehen vor sich ausgebreitet die Costa del Sol, die Costa Tropical und die Costa de Almería. Im Hinterland von Almería sehen Sie das, was aussieht wie bizarre Landschaften in Arizona oder New Mexico, in Wirklichkeit aber Europas einzige Wüste ist, der Desierto de Tabernas. Mittendrin sehen Sie mit Fort Bravo, Western Leone und Mini-Hollywood drei heruntergekommene Stadtkulissen, in denen über 300 Western gedreht wurden, von „Spiel mir das Lied vom Tod“ bis „Vier Fäuste für ein Halleluja“. Ja, die berühmten Italo-Western fanden ihre Wüstenfelsenkulissen im spanischen Andalusien. Das, was wir Europäer für amerikanische Kakteen- und Staubapokalypse hielten, ist europäischer als wir dachten. Heute kommen hier manchmal noch Til Schweiger, Emilia Clarke oder Jude Law vorbei und Laiendarsteller führen Banküberfälle und Saloonschießereien auf. Der Eintritt kostet zwischen 11 und 19 Euro, Erfrischungsgetränk inbegriffen.

Setzen wir unsere Tour fort. Wir befinden uns jetzt einige Kilometer weiter Richtung Süden, mitten in der Sierra de Gata. Rechter Hand sehen Sie eine Siedlung, die ahnungslose Vorbeireisende als Slum bezeichnen würden. Steigen wir aus, pfeift ein Wind durch die vier Straßen der Ortschaft, den man als Europäer nur aus Spaghetti-Western kennt. Den Ort gibt es schon viel länger als die Spaghetti-Western, er heißt Los Albaricoques, besser bekannt als Agua Caliente. Einst ritt hier Clint Eastwood ein und lieferte sich Schießereien für den Film „Für eine Handvoll Dollar“. Die Straßen heißen Calle de Clint Eastwood, Calle de Leone, etc. Ansonsten gibt es in Los Albaricoques nicht mal eine Bar mit Erfrischungsgetränken.

Setzen wir unsere Tour fort. Für eine Handvoll Euro pflücken heute rund um Los Albaricoques herum Geflüchtete Obst und Gemüse, das für ein paar Cent als Exportware verkauft wird. Deutschland zählt zu den größten Abnehmern. Von Weitem können Ahnungslose die vor Ihnen liegenden Landschaften für Schneelandschaften halten. Die einst Filmgeschichte schreibenden Kulissen des Hinterlands von Almería liegen heute verdeckt unter Plastikplanen. Sie sehen 35.000 Hektar von Gewächshäusern bedecktes Land. Ja, Sie sehen apokalyptische Landschaften. Apokalyptische Landschaften waren auch die Spaghetti-Western. In ihrem Zentrum aber stand immerhin das Individuum. Sie erzählten von Abgründen. Von was aber werden diese plastifizierten Kulissen erzählen, wenn diese Form der Landwirtschaft endlich abgewirtschaftet hat?

Die Fünftage­vorschau

Mi., 10. 4.

Franziska Seyboldt

Psycho

Do., 11. 4.

Jürn Kruse

Nach Geburt

Fr., 12. 4.

Michelle Demishevich

Lost in Trans*lation

Mo., 15. 4.

Kefah Ali Deeb

Nachbarn

Di., 16. 4.

Sonja Vogel

German Angst

kolumne@taz.de

Es braucht dringend einen neuen Sergio Leone, der „Für ein Handvoll Euro“ im Hinterland von Almería dreht und von den europäischen Abgründen erzählt. Damit haben wir das Ende unserer Tour erreicht. Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen.

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