■ Flugzeugunglück in der Karibik: Da lacht der Quotenmann: Doppelter Absturz
Am Mittwoch ist nicht nur ein Flugzeug mit deutschen Urlaubern in der Karibik abgestürzt. Abgestürzt sind auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß der Quotenkampf zwischen den TV-Stationen zur Verluderung journalistischer Grundsätze führt, dann ist er jetzt erbracht. Oder kann uns auch nur einer der Fersehgewaltigen, einer der Moderatoren oder ein einziger Reporter erklären, welchen Informationswert weinende Angehörige haben, die von TV-Crews an deutschen Flughäfen abgefangen werden, welche Nachricht man damit übermitteln will, wenn fassungslose Menschen ihr Entsetzen in ein Mikrofon stammeln?
Selbstverständlich ist ein Flugzeugabsturz ein Ereignis, über das journalistisch zu berichten ist, besonders wenn Deutsche in der Maschine sitzen. Selbstverständlich behandeln alle Medien, auch die taz, dieses Ereignis anders als eine Katastrophe, bei der, zum Beispiel, 180 Chinesen ums Leben kommen. Das hat nichts mit Nationalismus zu tun, sondern schlicht mit der Betroffenheit von LeserInnen und ZuschauerInnen, von denen fast alle schon einmal in einem Charterjet gesessen, aber nur die wenigsten von ihnen China mit eigenen Augen gesehen haben. Man kann Hintergründe abbilden, Experten interviewen, Bilder vom Absturzort senden... Man kann nicht die Trauer von Angehörigen filmen. Sie ist privat, sie muß privat bleiben. Wenn ARD und ZDF sich dieser Art übelstem Boulevardjournalismus annehmen, mag das ihre Einschaltquoten erhöhen. Da gratulieren wir zum Mittwochabend: Platz 1 für den ARD-„Brennpunkt“ mit 20 Prozent, Platz 2 „Tagesschau“ mit 19, Platz 3 „Heute“ im ZDF mit 18 Prozent. Doch das, wofür diese Sender bisher standen und was einen Großteil ihrer Existenzberechtigung ausmacht, die seriöse Berichterstattung, rauscht damit auf den Meeresgrund der Karibik.
Die Bild-Zeitung hat die journalistische Herausforderung Flugzeugabsturz auf ihre Weise gewonnen: Sie druckte die komplette Passagierliste mit den Namen aller Toten ab. Eine Rüge vom Presserat kann der Chefredakteur mit der rechten Arschbacke aussitzen. Die Frankfurter Rundschau und viele andere Zeitungen plazierten Bilder trauernder Angehöriger auf Seite eins. Nachrichtenwert: null. Klaus Hillenbrand
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