Doppelernten dank Klimawandel: Bauern dreschen im Dezember
Auf Grund des Klimawandels könnten viele Bauern in Zukunft zweimal pro Jahr ernten. Doch die Erträge im Dezember sind gering, und das Getreide ist feucht.
BERLIN taz Es ist ein ungewohntes Bild: Mitte Dezember rollt ein Mähdrescher über ein drei Hektar großes Feld im nordhessischen Calden und raspelt die Gersteähren vom Acker. Sommergerste im Dezember.
Hier erntet Landwirt Rüdiger Stolle. Für ihn gab die Diskussion über den Klimawandel den Anstoß zu dem Experiment, in diesem Jahr ein zweites Mal auszusäen. Am 7. Juli und damit über drei Wochen früher als gewöhnlich habe er den ersten Schwung Getreide einfahren können. "Dann habe ich abends auf meinen Kalender geschaut und gedacht, da kann ich doch noch ein zweites Mal säen." 100 Tage braucht Sommergerste normalerweise. Jetzt hat er sie geerntet.
"Als ich damals erzählt habe, dass ich ein zweites Mal säen will, haben die Leute noch gelacht", sagt der Landwirt. Kaum jemand glaubte an eine gelungene Ernte. Nun freut Stolle sich, der "letzte Bauer in Deutschland" zu sein, der seinen Mähdrescher winterfest machen wird. Für sein Experiment hat sich Stolle zumindest das richtige Jahr ausgesucht. Denn das Jahr 2008 war in Deutschland zu warm und etwas zu trocken; das ist jetzt schon die Bilanz der Meteorologen. Bislang gehen sie von dem viertwärmsten Jahr im Jahr 1901 seit Beginn der Wetterstatistik aus. Gleichzeitig fielen nur rund 93 Prozent der üblichen Niederschlagsmenge.
Trotz der doppelten Aussaat: Mit der zusätzlichen Ernte viel Gewinn gemacht zu haben, glaubt Stolle nicht. Dafür sei die Witterung im Oktober zu feucht gewesen, Ähren seien gebrochen, und das Getreide sei mit einem Feuchtigkeitsanteil von 25 bis 30 Prozent noch sehr nass. "Ich habe eigentlich damit gerechnet, mit der zweiten Ernte die halbe Menge der ersten einzufahren", sagt Stolle. Bei der ersten Ernte waren es acht Doppelzentner pro Hektar, jetzt hätten es also vier Doppelzentner sein müssen. Doch dafür hat es auf Grund des nassen Wetters nicht gereicht. Bevor der Bauer die Gerste als Viehfutter verwenden kann, muss er das Getreide nun erst einmal mit viel Heizenergie trocknen.
Es sei schon möglich, dass solche Doppelernten in Zukunft öfter vorkommen, sagt Antje Katzschner vom Fachbereich Umwelt und Meteorologie der Universität Kassel. Denn neben der grundsätzlichen Häufung von extremen Wetterereignissen werde es mit dem Klimawandel auch einzelne Regionen geben, die verlieren, und andere, die von den Veränderungen profitieren. "Es kann gut sein, dass zu den Regionen, die Vorteile haben werden, auch die Region Nordhessen gehört", so Katzschner.
Stolle plant, auch im kommenden Jahr zweimal zu ernten. Dann will er das Wissen aus seiner diesjährigen Erfahrung einbringen. Zum Beispiel überlegt er, schon im Oktober zu ernten, um den feuchten Spätherbst zu umgehen.
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