Doping im Fußball: Nix sehen, nix hören, nix sagen
Doping? Drogen? Die Fifa stellt sich so dumm wie blind: Es gibt keine unabhängigen Beobachter, und die Fifa-LaborantInnen glauben nur an das Gute im Sportler.
JOHANNESBURG taz | Er war kein Genie mehr. Er war schon verkommen zum kleinen, dicken Diego. Und dann das! WM 1994. Argentinien schlägt, angetrieben von einem unglaublichen Diego Maradona, Griechenland mit 4:0. Das dritte Tor schießt der alternde Meister, 33 war er seinerzeit, höchstselbst. Der Star schien sich einmal mehr neu erfunden zu haben.
Und noch einen phänomenalen Auftritt legte er hin. Beim 2:1 gegen Nigeria beschwerte sich der ein wenig lahm gewordene Maradona zwar des Öfteren, wenn er in die Gasse geschickt wurde und einem Ball nachlaufen musste, seine Pässe und seine Übersicht waren am Ende doch spielentscheidend. Dann platzte die Bombe. In Maradonas Urinprobe wurde Ephedrin gefunden, eine verbotene Substanz. Die Fußball-WM hatte einen ersten großen Dopingfall. Es ist dies bis heute der einzige Dopingfall bei einer Weltmeisterschaft.
Alles gut also? "Ich glaube, dass es keine Dopingkultur gibt." Das sagt Pieter van der Merwe. Er ist Leiter des Dopinglabors in Bloemfontein, das für die Fifa die Dopingproben bei dieser WM analysiert. "Die Angst vor Sperren und der Stigmatisierung in der Öffentlichkeit sind viel zu groß." Worte eines Wissenschaftlers.
Ein Anti-Doping-Kämpfer ist der freundliche Doktor der Chemie nicht. Beinahe schon naiv ist sein Glaube an das Gute im Sportler. Den Wettkampf zwischen Analytikern und den Sportlern, die sich mit wissenschaftlicher Unterstützung einen Vorteil gegenüber den Laboren verschaffen wollen, hält er für überbewertet. "Das ist doch zu aufwändig", meint der Chef des von der Welt-Anti-Dopingagentur Wada akkreditierten Labors.
"Viele Sportler werden auch erwischt, ohne dass sie die Absicht hatten zu betrügen", sagt er und verweist auf die vielen Nahrungsergänzungsmittel, die verbotene Substanzen erhalten. "Aber die Wada unternimmt ja auch einiges, um die Sportler aufzuklären." Nein, der freundliche 60-Jährige ist wahrlich kein Hardliner im Kampf gegen Sportbetrug.
"Es gibt keine Dopingkultur im Fußball", das hat in den Tagen dieser WM auch Michel d'Hooghe gesagt. Der Belgier ist in der Exekutive, der Regierung der Fifa, für medizinische Fragen zuständig. Als Mitglied von Sepp Blatters Fußballfamilie sind von ihm keine kritischen Worte in Bezug auf Doping zu erwarten. Dass Fälle von organisiertem Doping im Fußball belegt sind, weiß indes sicher auch d'Hooghe.
Vor der Jahrtausendwende hat Riccardo Agricola, der Teamarzt von Juventus Turin, die ganze Mannschaft, zu der damals auch der große Zinédine Zidane gehörte, mit Unmengen verbotener Substanzen präpariert. 281 Medikamente enthielt die Privatapotheke des Dopingarztes. Agricola wurde von einem italienischen Gericht deswegen zu 20 Monaten Haft verurteilt.
Auch Eufemiano Fuentes, der Mann, der das Blut so vieler Radler - unter anderem Jan Ullrich - aufgefrischt hat, gab einmal zu, dass auch Fußballer von Real Madrid und dem FC Barcelona bei ihm ein und aus gingen. Vor Gericht hat er dies jedoch nie bestätigt. Der französischen Tageszeitung Le Monde hat Fuentes dazu gesagt: "Der Fußball ist zu groß."
Von der Größe des Fußballs hat auch das Dopinglabor in Bloemfontein profitiert. Vor der WM wurde Pieter van der Merwes Labor, das es seit 1992 gibt, erweitert und mit neuen Geräten im Wert von einer halben Million Euro ausgestattet. "Majestix", "Sterix", "Urbofix"- bunte Sticker kleben auf den teuren Maschinen. Die Mitarbeiter haben sich nette Namen ausgedacht für die Geräte, die in den Urinproben Steroide, Epo oder Wachstumshormone entdecken sollen.
"Asterix und Obelix waren ja so etwas wie die ersten Doper", lacht van der Merwe. Acht Mitarbeiter hat er. Die haben in den Tagen der WM nicht viel mehr als sonst zu tun. In jedem Spiel werden zwei Spieler ausgelost, die nach der Partie ihren Urin abgeben müssen. Mitarbeiter der medizinischen Kommission der Fifa versiegeln die Proben und schicken sie per Kurier nach Bloemfontein zur Analyse. 24 Stunden später liegen der Fifa die Ergebnisse vor. Bis jetzt waren alle Proben negativ. Doch darüber darf van der Merwe nichts sagen. Einzig der Weltverband gibt Auskunft über die Ergebnisse.
Im Gegensatz zum Internationalen Olympischen Komitee bleibt der Anti-Doping-Kampf bei einer WM in der Fußballfamilie. Während das IOC sein Kontrollprogramm während der Spiele von der Wada überwachen lässt und im Vorfeld der Spiele eng mit der Welt-Anti-Doping-Agentur zusammenarbeitet, gibt es bei Weltmeisterschaften kein Monitoring.
Die Proben werden von Fifa-Ärzten genommen. Wada-Generalsekretär David Howman meint dazu: "Wir wurden von der Fifa eingeladen, das Kontrollprogramm während der WM zu beobachten. Aus Gründen der Logistik und der Finanzen verzichten wir aber darauf, unabhängige Beobachter nach Südafrika zu entsenden." Der große Fußball kann machen, was er will.
Die Möglichkeiten, die der Kodex der Welt-Anti-Doping-Agentur den Sportverbänden gibt, Betrüger dann zu überführen, wenn es neue Analysenmethoden gibt, nutzt der Fußballverband nicht. Nach diesen Regeln können die genommenen Dopingproben acht Jahre lang aufbewahrt werden. Sportler, die gegen die Dopingbestimmungen verstoßen haben, können für längst vergangene Dopingvergehen bestraft werden. "Ich weiß nicht, was das für einen Sinn haben soll", sagt Pieter van der Merwe. Man habe ja dann nur noch die B-Probe. "Nein, das bringt nichts."
Dass mit derartigen Nachtests schon etliche Sportler des Dopings überführt worden sind, scheint er gar nicht zu wissen. Für die Lagerung des Urins von Sportlern war sein Labor ohnehin nicht ausgestattet. Gerade einmal acht nicht allzu große Kühlschränke hatte er zur Verfügung, bevor sein Labor erweitert wurde. Jetzt verfügt sein Labor über einen riesigen begehbaren Kühlraum. Vielleicht braucht er den, wenn dereinst die afrikanischen Sportverbände beginnen, effektive Anti-Doping-Programme zu entwickeln. Neben einem Labor in Tunesien ist das von Bloemfontein das einzige von der Wada akkreditierte Institut auf dem Kontinent.
32.000 Dopingproben wurden 2009 im Fußball genommen. Nur 0,3 Prozent davon waren positiv. Und in den meisten Fällen seien keine klassischen Dopingsubstanzen nachgewiesen worden, sondern Kokain oder Marihuana. Der das vorrechnet, ist Jiri Dvorak, der Chefmediziner der Fifa. Die Zahlen spiegeln für ihn die Realität im Fußball wider. Demnach hätte der Fußball in der Tat kein Dopingproblem.
Doch Dvorak weiß, dass die Sportmediziner der WM-Teams alles andere sind als nur Heiler. Er steht in engem Kontakt mit den medizinischen Abteilungen der Nationalverbände und hat Studien initiiert, die zeigen, dass es sich bei den Sportärzten im Fußball um die gleichen Menschentuner handelt, wie sie etwa im Radsport unterwegs sind.
Ohne pharmazeutische Unterstützung läuft beinahe kein Spieler auf. Bei den Weltmeisterschaften 2002 und 2006 wurden weit mehr als 10.000 Dosen von Medikamenten verabreicht. Einzelne Spieler wurden mit sieben unterschiedlichen Mitteln präpariert, bevor sie auf das Feld geschickt wurden.
Einmal waren 22 von 23 Spielern eines Teams mit pharmazeutischen Präparaten fit gemacht worden. Verboten war das nicht. Entweder es handelte sich um Schmerzmittel, die nicht auf der Wada-Verbotsliste stehen, oder es lagen Ausnahmegenehmigungen vor. Auch wenn die Fifa also weiter jede Dopingkultur im Fußball abstreitet, eine Kultur der pharmazeutischen Menschenoptimierung gibt es allemal.
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