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„Don’t be afraid to be silly!“

Architektur Peter Cook und die Gruppe Archigram bildeten zu Beginn der Sixties so etwas wie die Pop Group der Architekten. Cook gilt eine Retrospektive in Berlin

Peter Cook, Veg House Stage, 1996, Druck, koloriert mit Aquarell, 50 x 70 cm Foto: Tchoban Foundation

von Ronald Berg

Architektur muss nicht unbedingt etwas Unveränderliches sein. Die Erfahrung zeigt, dass viele Gebäude im Laufe der Zeit ihre Gestalt verändern: Es wird angebaut, umgebaut oder auch mal etwas abgerissen. Gebrauch und Geschmack verändern sich mit der Zeit, und auch die technischen Möglichkeiten entwickeln sich. Warum diese Tatsachen beim Entwurf von Architektur also ignorieren? Warum nicht Gebäude bauen, die für Veränderung offen wären?

Bei dem Architekten Peter Cook ist dieser Gedanke auf fruchtbaren Boden gefallen. Cook spricht von „Metamorphosis“. Mit einem so bezeichneten Blatt beginnt die Jubiläumsausstellung zum 80. Geburtstag des Architekten in der Tchoban Foundation in Berlin. Dort ist die Entwicklung einer Architektur vom Zeitpunkt des Entstehens der Zeichnung 1968 bis 1985 dargestellt: Fünf Stadien sind zu sehen, in denen ein simples, industriell vorgefertigtes Tragwerk dem technischen Fortschritt zur Verfügung steht, um eingekleidet, verwoben, behaust oder sonst wie verändert, erweitert und entwickelt zu werden. Für 1985 geht es schließlich darum, mittels einer „televisuellen Membrane jegliche Umgebung zu simulieren und so mit seinen Träumen zu leben“, wie es auf der Zeichnung heißt. Die Technik liefert die Mittel – einschließlich eines Hunde­roboters, um die Wohnung der Zukunft in eine paradiesische „Comfort area“, eine Wohlfühlzone, zu verwandeln.

Das Blatt ist ziemlich typisch für die Geisteslage der Gruppe Archigram. Peter Cook stellt wohl heute das berühmteste Mitglied dieser Architektengruppe dar. Den Namen (ein Kunstwort aus architectureund telegram)übernahmen die damals jungen Architekturabsolventen von ihrer ersten Zeitschrift, die 1961 erschien. Im Grunde handelte es sich nur um ein großes Blatt Papier, das mit einer kruden Mischung aus Comics, Gedichten und utopischen Stadtentwürfen aufwartete. Was aber Archigram während der sechziger Jahre zu einer Art Pop Group der Architektur machte, war, dass die Gruppe mit ihrem Ideen den Geist der Zeit traf: Und der hieß Revolte, Befreiung, Experiment und Utopie. Sie reihten sich ein in die Aufbruchstimmung der Swinging Sixties und brachten – ähnlich wie die Beatles ihre Platten – jedes Jahr eine neue Zeitschrift heraus.

Vieles war denkbar zu Beginn der Sixties, als die Not der Nachkriegszeit auch in Britannien zu Ende ging. Mit Instant City, Walking City, Sin-Centre und vielem anderen mehr lieferte Archigram das in der Architektur bis dato Undenkbare. Die einsetzende Raumfahrt schickte sich ja ihrerseits bereits an, das Unmögliche möglich zu machen. Warum also sollte die Archi­tektur zurückbleiben?

Dennoch blieben sämtliche Projekte von Archigram Papier. Was nicht heißt, dass sie keine Wirkung hatten. Die vielen (Entwurfs‑)Collagen der Gruppe gehören – unzählige Male zitiert und nachgedruckt – heute zum festen Bestandteil der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Der Blick in die Zukunft, wie ihn sich Peter Cook 1968 in seiner „Metamorphosis“-Zeichnung erträumte, erweckt allerdings heute zwiespältige Gefühle. Die Technikgläubigkeit und die ungebrochene Zukunftszuversicht erscheinen naiv. Im Grunde mag Archigram daran auch gescheitert sein. Die Gruppe löste sich 1974 auf, als die Grenzen des Wachstums ins allgemeine Bewusstsein drangen.

Bewachsene Haufen

Die Zeichnung ist auch in der Zeit nach Archigram das zentrale Ausdrucksmittel von Peter Cook geblieben – obwohl er über 40 Jahre an vielen Universitäten gelehrt hat und dort sicherlich nicht ohne das Wort ausgekommen ist. Wirklich gebaut hat er sehr wenig.

Berühmt geworden ist eigentlich nur das mit seiner Kollegin Christine Hawley entworfene Kunsthaus Graz, was ungefähr so aussieht wie eine riesige pickelige Kröte. Dieses im Jahr 2003 eröffnete Museum ähnelt noch am ehesten jenen „bewachsenen Haufen“, die Cook sich schon in den Siebzigern mit dem Zeichenstift ausgedacht hat.

Die Serie dieser „Vegetated Lumps“ gehört zu den rund 30 Zeichnungen von 1968 bis heute, die die Retrospektive zu Peter Cook bei Tchoban zusammengebracht hat. Die benachbarte Architekturgalerie Aedes veranstaltete zusätzlich ein Symposion zu Ehren des Jubilars. Während der achtziger Jahre hat der Brite, fasziniert vom seltsamen Gebilde der Mauerstadt, sogar Projekte für Westberlin entwickelt. Bei Tchoban ist eine Cook-Zeichnung aus dieser Zeit zu einem Hochhaus zu sehen, in dessen Innerem ein Kaktus wächst.

Die vielen von Pflanzen durchdrungenen und überwachsenen Gebäude‑ und Stadtentwürfe von Cook bei Tchoban stellen im Grunde so etwas wie die Weiterentwicklung des Metamorphosis-Gedankens aus Archigram-Zeiten dar. Der damalige Glaube an die Technik als Movens des Fortschritts wandelte sich zum Gedanken eines organischen Wachstums. Ob und wie das bunte Wuchern in seinen Zeichnungen auch gebaut werden könnte, scheint für Cook bis heute zweitrangig zu sein, gemäß seinem Motto: „Don’t be afraid to be silly!“ Manchmal, wenn die Verhältnisse allzu verkrustet sind, tut etwas Verrücktheit ja ganz gut.

Tchoban Foundation, Christinenstraße 18a, 10119 Berlin, Mo.–Fr. 14–19 Uhr, Sa., So. 13–17 Uhr. Bis 12. Februar 2017

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