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Donna Leon über ihren neuen Roman„Aber jetzt wollen sie dort buddeln“

Die Autorin über Giftmüll in der Lagune, einen ausgebrannten Commissario Brunetti und die Inspiration aus einem Glas Honig.

Donna Leon lässt ihren Commissario dieses Mal in Venedigs verseuchter Lagune ermitteln Foto: diogenes
Interview von Andrea Herdegen

taz.am wochenende: Frau Leon, nach mehr als 25 Jahren sind Sie immer noch mit Ihrem literarischen Chefermittler, dem Commissario Brunetti, „zusammen“. Aber – nach nun fast vier Jahrzehnten – scheint Ihre große Liebe zu Venedig etwas abgeklungen. Sie leben jetzt hauptsächlich in der Schweiz?

Donna Leon: Nein, ich pendle zwischen der Schweiz und Venedig. Der Sommer in Venedig ist mörderisch. Es ist heiß, chaotisch und überlaufen. Überlaufen! Wir haben in Venedig 33 Millionen Touristen im Jahr. In einer Stadt mit 54.000 Einwohnern. Venedig ist kein Ort, um den Sommer dort zu verbringen. Im Winter, wenn die Touristenmassen weniger werden, bin ich öfter und immer gerne dort.

Können Sie denn in den Schweizer Bergen ein Buch über Venedig schreiben?

Ich könnte hier an diesem Tisch schreiben. Oder in einer Telefonzelle.

Sie kennen Venedig in- und auswendig?

Es gibt ganze Stadtteile, die ich gar nicht gut kenne. Immerhin verlaufe ich mich aber nicht und kenne Geografie und Menschen ganz gut, weiß über Bräuche, Gewohnheiten und Sprache Bescheid.

Sie haben mal gesagt, man müsse verrückt sein, um bei Venedig optimistisch zu bleiben.

Oh, ich neige nicht zum Optimismus. Ich bin – und das zeigt mein jetziges Buch, sehr ökologisch und umweltbewegt – und von daher eine Umwelt-Pessimistin.

Wie entstand die Idee zu „Stille Wasser“?

Ich unterhielt mich gerade mit Césare, dem Eigentümer vom „Al Covo“ in Castello. Da sah ich auf dem Tresen ein Glas. Die Substanz darin hatte eine seltsame Farbe, ein sehr, sehr blasses Gelb. Ich fragte ihn, was das sei. Er antwortete: venezianischer Honig, aus den Salzmarschen in der Lagune. Und ich dachte: Das wäre doch eine interessante Idee, dort draußen einen Roman spielen zu lassen.

Im Interview: Donna Leon

Zur Person: geb. 1942 in New Jersey, USA. Mit 23 Umzug nach Italien, Studium in Perugia und Siena. Arbeitete als Reisebegleiterin, Werbetexterin und Lehrerin. Seit 1981 in Venedig. 1992 erschien ihr erster von 26 Commissario-Brunetti-Romanen.

Aktuelles Buch: „Stille Wasser – Commissario Brunettis sechsundzwanzigster Fall“ (Diogenes Verlag, Zürich). Nach einem Schwächeanfall soll sich Brunetti bei Verwandten an der Lagune erholen. Doch zwischen Bienen und Blumen kommt er einem großen Verbrechen auf die Spur.

Live: Die Autorin liest beim Literaturfestival Lit:Potsdam am 8. Juli abends aus ihrem neuen Roman.

Warum gerade dort?

Ich wollte weg von diesem Venedig, das jeder zu kennen glaubt. Weg von den gotischen Fenstern, den Statuen, den Kirchen, der Basilika – weg von all dieser menschengemachten Schönheit. In dem Buch gibt es sehr wenig davon, alles ist Natur. Ich habe eine Menge Zeit in der Lagune verbracht. Ich liebe es dort.

Sie warten bis Seite 152, bis Sie die Leiche präsentieren.

Das ist es doch: Da draußen passiert nichts!

Donna Leon ist also auf dem gleichen Entschleunigungs-Trip wie Ihr Commissario, der an eine Auszeit denkt?

Stimmt. Es ist eine Art Entzug. Ich wollte mal runterkommen, da draußen in der Lagune. Und eine Idee davon vermitteln, was da draußen los ist. Die Menschen in Venedig wissen das ja oft ganz genau. Aber würde das allgemein bekannt, wäre es schlecht für den Tourismus.

Den mögen Sie ja ohnehin nicht.

Gerade wird überlegt, ob man die Kreuzfahrtschiffe im Guidecca-Kanal nicht doch wieder stoppen kann. Sie wollen jetzt einen neuen Kanal ausheben. Aber damit würden sie das ganze Gift aufwirbeln, das seit dreißig, vierzig Jahren am Grund der Lagune liegt. Es sank, still und vergessen, immer tiefer in den Meeresboden. Aber jetzt wollen sie dort buddeln, den Vittorio-Emanuele-Kanal ausbaggern und damit diese ganzen Giftstoffe ins Wasser der Lagune befördern. Es wäre verheerend, all das Cadmium, Arsen und weiß Gott, was da unten alles liegt, freizusetzen. Über Jahrzehnte hinweg haben die Konzerne der Petrochemie im venezianischen Industriegebiet Marghera alles, was sie loswerden wollten, dort versenkt.

Um diese illegale Giftmüll-Entsorgung dreht sich Ihr Roman. Woher beziehen Sie Ihre Informationen? Sie vertrauen den italienischen Medien nicht. Wem dann?

Ich vertraue auf Klatsch und Tratsch und auf die Menschen, die ich seit vierzig Jahren kenne. Ich betreibe Smalltalk, höre auf all das oberflächliche Geplappere. Und dann, nach einer Weile, verraten die Leute mir so Dinge.

Wie sehr ist die Natur rund um Venedig tatsächlich in Gefahr?

Es geht um eine enorme Wasserfläche. Ein Bekannter kam neulich von Sant’Erasmo. Auf der Fahrt hatte er Leute fotografiert, die im Schlamm Muscheln sammeln. Ich fragte meine venezianischen Freunde: Würdet ihr die essen? Und sie riefen: Nie im Leben! Stimmt schon, die Natur dort sieht unberührt aus, wundervoll. Aber eine Muschel essen, die aus diesem Wasser kommt? Nein, danke!

Sie werden im September 75. Denken Sie an Ruhestand?

Nicht, solange es Spaß macht. Wenn ich mal stöhne „Mein Gott, schon wieder ein Buch schrei­ben“, dann würde ich aufhören.

Was werden Sie an Ihrem Geburtstag machen?

Keine Ahnung. Oh doch, ich weiß: Ich werde in Neapel sein. Giulio d’Alessio, der Künstlerische Leiter von „Il Pomo d’Oro“, ist Neapolitaner. Ich bin bei ihm und seiner Familie eingeladen. Und Giulio und ich werden gemeinsam Geburtstag feiern. Er hat einen Tag später.

Neapel. Welch ein ungewöhnlicher Platz für einen runden Donna-Leon-Geburtstag.

Ich war schon seit Jahren nicht mehr in Neapel. Ich kann es kaum erwarten. Ich liebe Neapel. Weil es das reinste Chaos ist.

Arbeiten Sie bereits am nächsten Buch, dem 27. Fall?

Das ist fertig. Ich habe es eben an die Verlage geschickt.

Wird auch da, wie oft in den Brunetti-Romanen, der Mörder ungestraft davonkommen?

Das ist doch normal, dass die Täter davonkommen, oder? Es ist gar nicht mein Anliegen, dass sie verurteilt und bestraft werden. Ich beobachte einfach, was in Italien los ist; ich bin da nur wie ein Spiegel. Es ist nicht meine Aufgabe, kriminelle Taten zu bewerten und Gerechtigkeit herzustellen. Vielleicht wirkt das so, wenn man meine Bücher liest, aber ich sehe es nicht als meine Aufgabe an. Als Beobachterin sage ich aber: In Italien sitzen nur eine Menge kleiner Fische im Gefängnis. Die großen nicht. Das ist im System gar nicht vorgesehen.

Wie kann jemand, der die Zukunft der Menschheit und der Welt so zutiefst pessimistisch bewertet, so fröhlich und gut gelaunt durchs Leben gehen?

Daran sind meine Mutter und mein Vater schuld. Ich hatte glückliche Eltern. Menschen, die Witze und Wortspiele machten. Meine Eltern haben mich auf Fröhlichkeit geprägt.

Wenn man in Ihrer Biografie stöbert, stößt man immer wieder auf erstaunliche Details. Eines davon: Sie waren der erste – und bislang einzige – weibliche Tennis-Champion im Iran.

Isfahan, Iran, 1978, Frauen-Einzel. Ja! Ich habe den Pahlavi-Cup gewonnen, benannt nach dem damaligen Schah.

Und der Pokal steht jetzt in Venedig?

Nein. Als ich während der Islamischen Revolution evakuiert wurde, habe ich ihn nicht mit eingepackt.

Aber Ihre Dissertation über Jane Austen hatten Sie eingepackt. In mehrfacher Ausfertigung, verteilt auf verschiedene Gepäckstücke.

Und alle sind sie verlorengegangen. Gott sei Dank! Man weiß nie, was einem das Leben bringt. Zu jener Zeit wusste ich noch nicht, dass das ein Geschenk sein würde. Aber das war es. Ich war mit allem durch, hatte alle Prüfungen bestanden. Nur die Dissertationsschrift fehlte noch.

Ein Verlust, der Ihr Leben verändert hat?

Absolut. Er hat mir das Leben gerettet. Sonst wäre ich in Iowa oder Wyoming gelandet, um auf irgendeinem landwirtschaftlichen Institut Englische Literatur zu lehren. Und meine Schüler würden direkt aus dem Kuhstall kommen und sagen: „Also gut, Frau Doktor, wollen wir uns mal über diesen Wälzer hier unterhalten, ‚Stolz und Vorurteil‘. Worum geht’s da noch mal?“

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