Dokumentation: Wo warst du während der Nachrichten?
■ Die Kolumne als fiktives Telefongespräch: Anläßlich der Studentenunruhen nahm Taslima Nasrin die politische Lethargie der Frauen aufs Korn
28.11.90
Was hat BBC gestern nacht berichtet?
Ich weiß es nicht genau, warte doch, ich frage Kamal.
Wieso, wo warst du denn während der Nachrichten?
Glaubst du, ich habe nichts zu tun? Mein Sohn hat doch in Kürze Klausuren zu schreiben.
Weiß du nicht, daß 2 Jungs in eurer Gegend erschossen wurden?
Ich bin mir nicht sicher, vielleicht weiß Kamal mehr darüber.
Du hast von der Schießerei nichts gehört?
Ich habe es nicht genau wahrgenommen. Aber gestern oder vorgestern knallte es furchtbar in unserer Nähe.
Was für ein Knall? Gewehre, Pistolen, Molotow oder Handgranaten? Was für ein Krach?
Mein Schwager meinte ...
Was meint er?
Ich weiß es nicht mehr.
Wer hat da geschossen? Die Polizei oder die staatliche Terrorbande?
Ich weiß es echt nicht.
Was weißt du überhaupt?
Versteh doch, wie soll ich das alles wissen, ich hab' 'ne Familie zu versorgen.
Du willst mir doch nicht einreden, Bokul, daß, weil eine Frau eine Familie hat, sie nicht wissen kann, was für junge Männer in ihrer Nähe erschossen wurden, wer sie erschossen haben kann oder warum sie erschossen wurden? Und genau deshalb kannst du es nicht in Erfahrung bringen, wo man schießt, warum man schießt und weshalb eine Ausgangssperre verhängt wurde?
Bokul ist meine Freundin. Mit ihrer Bildung und Begabung steht sie keineswegs ihrem Mann Kamal nach. Dennoch hält sie es nicht für notwendig, sich über politische Geschehnisse im Land zu informieren. Das übernimmt ihr Mann. Bokul erledigt den Haushalt, bringt das Kind zur Schule. Bokul bringt ihrem Sohn Reimen auf englisch bei, während Studenten an ihrem Haus vorbeimarschieren. Auf dem Demonstrationszug wird scharf geschossen, währenddessen bereitet Bokul süße Desserts für ihre Familie zu.
29.11.90
Wie geht es denn euch so während der Ausgangssperre?
Scheußlich, beschissen. Unser Kühlschrank ist nämlich leer.
Was passiert denn in eurer Umgebung?
Was soll denn passieren? Heute morgen hat der Händler auf unserer Straße seinen Laden kurz geöffnet, aber ich konnte nur zwei Dutzend Eier ergattern.
Hast du auf der Straße etwas sehen können? Die Demo, die vielen Polizisten, die Studenten?
Du glaubst wohl, daß ich mir die Eier selbst geholt habe? Nee, ich habe das Hausmädchen zum Einkaufen geschickt.
Ihr wohnt doch im Uni-Viertel, wie ist die Situation dort?
Genauso schlimm, jeder klagt, in unserem Haus hat außer Frau Alam niemand weder Fisch noch Fleisch im Kühlschrank.
Dies ist meine Schwester Momota. Sie findet das Uni-Viertel unmöglich. Momota wartet darauf, daß die Ausgangssperre aufgehoben wird. Wenn es soweit ist, wird sie zuallererst einkaufen gehen. Sie wird vom Markt korbweise Lebensmittel nach Hause schleppen lassen, und dann wird sie in aller Ruhe zu kochen beginnen. Wenn das Land vor die Hunde gehen sollte, was sie dann machen würde, habe ich sie nicht gefragt. Möglicherweise, hätte sie ihren Mann Humayun gefragt, was zu tun ist. Aus dem Bengali
von Pankaj Chattopadhyay
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