Dokumentation: „Krieg ist ein Gesellschaftszustand“
■ Wehrmachtsausstellung: Auszüge aus der Rede Jan Philipp Reemtsmas
„(...) Der Krieg der deutschen Wehrmacht im Osten ist kein Krieg einer Armee gegen eine andere Armee gewesen, sondern er sollte der Krieg gegen eine Bevölkerung sein, von denen ein Teil – die Juden – ausgerottet, der andere dezimiert und versklavt werden sollte. Kriegsverbrechen waren in diesem Krieg nicht Grenzüberschreitungen, die erklärungsbedürftig sind, sondern das Gesicht des Krieges selbst.
Darum heißt diese Ausstellung „Vernichtungskrieg“ und nur im Untertitel „Verbrechen der Wehrmacht“. Doch dieser Untertitel macht die Brisanz dieser Ausstellung in diesem Lande aus: Warum ist die Wehrmacht der Bevölkerungsteil, dessen Rolle in den Jahren 1933 bis 45 zu diskutieren, nach wie vor so schwierig ist? (...)
Es hat die Nürnberger Ärzteprozesse gegeben (...); die Rede von den furchtbaren Juristen ist akzeptiert. Die Wehrmacht ist aber (...) in diffuserer Weise Teil der Bevölkerung: Verbrechen der Wehrmacht sind potentielle Verbrechen des Jedermann – Verbrechen von jedermanns Vater, Bruder, Onkel und Großvater. Die Ausstellung behauptet allerdings nicht, daß jeder Wehrmachtsangehörige jene Grenze überschritten habe, die die Haager Landkriegsordnung zog. (...)
Krieg ist ein Gesellschaftszustand, der fortdauert, hineinwirkt in die Gesellschaft, auch wenn diese nach außen hin an keiner Front mehr kämpft. Soldaten kommen nach Hause – im Falle Deutschlands kamen sie auf der Flucht, nach der Kapitulation, aus der Kriegsgefangenschaft. Alle kamen als Geschlagene, viele verwundet – alle mit Erinnerungen, die kaum einer hören wollte und die auf den Umkreis des Stammtisches (...) beschränkt bleiben mußten und so zu einer Subkultur wurden. (...) Es war wie ein Vertrag: Schweigt von euren Heldentaten, und wir wollen von den Verbrechen schweigen. (...)
Da ist der Mann der vielen Leserbriefe, der irgendwann in das Hamburger Institut für Sozialforschung kommt und uns sprechen will. Es gehe um die Kinder von Belaja Zerkow. Das waren jüdische Kinder gewesen, deren Eltern vom SD ermordet worden waren. Es war dunkel geworden über dem Töten, und so hatte man sie eingesperrt ohne Nahrung und Wasser. Die Wehrmacht war in die Stadt eingerückt (...) und beriet, was zu tun sei. Am Ende steht der Befehl General Reichenaus: (...) Die Kinder werden erschossen.
„Nein“, sagt der Mann, der in das Institut gekommen ist, „das ist nicht wahr. Ich habe diese Kinder gerettet.“ Er habe sie weinen gehört und mit sechs Soldaten die zwei Bewacher des SD gezwungen, die Kinder freizulassen. (...)
Es wird ein langes Gespräch. Es gibt Zeugen, die den Mord an den Kindern gesehen haben. Der Mann kennt einen der Zeugen, einen Geistlichen, der die Truppe begleitet hat: „Ja, ein vertrauenswürdiger Mann“, sagt er. Und schließlich hat man am Ort des Mordens Jahrzehnte später die Überreste der toten Kinder gefunden. Der Mann bedankt sich für das Gespräch und sagt: „Ich gehe informierter weg als ich gekommen bin.“
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