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Dokumentation„Dichter, Professoren wurden ermordet“

■ Kroatische und bosnische Intellektuelle beklagen in einem offenen Brief die Ermordung ihrer Freunde im Kosovo: „Ein ganzes Jahrzehnt lang schauen wir ein und derselben Szene zu“

Erstarrt vor Grauen sprechen wir liebe und bekannte Namen aus und beten darum, daß die Nachrichten falsch sein mögen: Fehmi Agani, Veton Surroi, Latif Berisha, Din Mehmeti, Baton Hadžiu – Professoren, Dichter, Herausgeber, Intellektuelle wurden ermordet in Kosovo, in ihrer Heimat und ihren Häusern, Straßen, in denen sie wohnen.

Betreffend Bajram Kelmendi, des brillanten Rechtsanwalts, und seiner Söhne existiert die Chance, daß es sich um eine falsche Nachricht handeln könnte, nicht mehr. Sie wurden getötet und sind bereits beerdigt worden.

Über wie viele von ihnen in Kosovo wissen wir aber noch nichts und haben Angst, von ihrem Schicksal zu erfahren? Über Lehrer, welche vor ihren Schülern ermordet, über Hunderte von Männern, die mit unbekanntem Ziel abgeführt werden, nachdem sie von ihren Frauen und Kindern getrennt werden, die wiederum in die Flucht getrieben werden, ohne jegliche Hoffnung...?

Zuerst Vukovar und Dubrovnik, dann Sarajevo, Srebrenica, Bihać – nun Djakovica, Peć, Priština. Ein ganzes Jahrzehnt lang schauen wir ein und derselben Szene zu. Massenmord, Konzentrationslager, ethnische Säuberung, unermeßliches Leid der Menschen. Es ist das Jahrzehnt Slobodan Milošević'.

Seit 1991 haben wir Tausende Appelle verfaßt, Tausende Protestschreiben überreicht, an Tausende Türen geklopft, doch nichts hat geholfen. Es geschieht jetzt, was wir so lange vorausgesehen haben: Kosovo.

Wir sind uns dessen bewußt, daß es bereits viel zu spät ist, aber dennoch fordern wir: Die Namen der Ermordeten dürfen nicht vergessen werden, ihre Henker dürfen nicht auch noch Herren über ihren Tod bleiben, die Ehre und Unschuldigkeit der Opfer muß gerettet werden.

Wir haben unsere serbischen Freunde und Kollegen nicht aufgefordert, diesen Appell zu unterschreiben, um sie selbst nicht in Gefahr zu bringen.

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