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■ Dokumentation: Ein Vortrag von Prof. Dr. Fitzkau-SchemmelshermPutzen in der Postmoderne

„Die alte Männer-Ideologie von den Freiräumen der Hausarbeit wird bezeichnenderweise von den Männern, die diesen Worten Taten folgen ließen, nicht mehr geteilt“, schreibt Ulrich Beck in „Risikogesellschaft“. Vom Unausgefülltsein durch monotone Routine ist die Rede (...) Das Putzen sei das Schlimmste (...) Mitnichten, meine Herren! Putzen kann ein Erlebnis sein, Selbsterfahrung und Versenkung in das Wesen der Dinge. Allenfalls vergleichbar der Arbeit des Dichters oder Philosophen.

(...) Beispiel Altglas. Dem Junggesellen ist das Altglas häufig noch peinlicher als die Wachsflecken auf dem Bettzeug (...) Da gibt es keine Erklärung: für die vielen vielen, sich stapelnden und häufenden Nutellagläser. Was soll eine Frau denken, wenn sie seine Wohnung betritt mit diesem gewissen, prüfenden Blick? Was für ein Bild bekommt sie von ihm als Mann?

(...) Hat der Putzende mit seinen sonnenbeblümten Naturkost- Was-sonst!-Taschen voller Nutellagläser ungesehen die Tonne erreicht, kann er – wieder oben – sein Werk betrachten: in der Küche, neben dem Mülleimer, nur noch zwei leere Weinflaschen. Wäre alles restlos aufgeräumt, hielte sie ihn womöglich für einen ordnungsfanatischen Anal-Charakter, und schließlich soll es nach Leben ausschauen. (...) Dies nur als Demonstration dafür, daß sich – wie einst die Dame des Hauses – der Hausmann durch das heimliche Arrangement selbst darstellen und seine Identität wahren kann.

(...) Während der Putzende die Spuren verwischt, die seine Schuhe in den Wutanfällen des letzten Halbjahres überall hinterlassen haben, und also viel und lang zu putzen hat, mag er sich ins Bewußtsein rufen, was Pablo Neruda über die unbeweglichen Dinge sagte. „Die Erde und die Hand des Menschen [und sein Fuß] haben auf ihnen ihre Spur hinterlassen, er braucht sie nur abzulesen.“ Die Oberflächen solcher Dinge (...) „sind mit einer Aura umgeben, die oft etwas Tragisches hat und immer das Herz ergreift“. (...) Der alte Marxist Neruda, Poet mit Putzfrau, gelangte zu dem Schluß, daß die Dinge also „dem gefolterten Dichter zur Lehre dienen“. Heute zeigt sich, sie können auch dem gefolterten Hausmann eine Lehre sein. Und sei es, daß sein hysterisches Gemüt sich kühlt in der reinen Anschauung ihrer Reinigung. (...)

Mit dem Staub hat es seine besondere Bewandtnis. Er gleicht dem Schorf, der eine Unfallwunde überzieht und bei dessen Anblick man nicht mehr Glas und Metall sieht, die Haut und Fleisch mit sich reißen; (...) die verstaubte Wohnung ist wie eine Mauer, die verwittert ist und der man das Stein- auf-Stein der Maurerhände nicht mehr ansieht. (...) Wie Gerinnen, Trocknen, Verwittern und Verrosten verdinglicht das Verstauben, indem es den Ganz des Gewordenen verdeckt: Man findet nichts mehr, nicht weil die Gegenstände unter dem Staub verschwinden, sondern weil sie als Gelegtes und Gestelltes aus der Wahrnehmung verschwinden. (...) Derart ist das Staunen groß, wenn man unter gelüftetem Schleier etwa einen (unterdessen überflüssigen) Zettel „Birkenfeige duschen!“ entdeckt oder hie Geld, dort Rechnungen findet. Ärmer um ein paar Mark und die Illusion, ein goldenes oder zumindest grünes Händchen zu haben, ist der sich Reproduzierende doch wieder reicher an praktischer Erkenntnis. (...)

Meine Damen und Herren (...) Ein Schlüsselerlebnis meiner Kindheit hatte ich, als ich eines Tages meine Oma besuchte. Kaum war ich eingetreten, passierte es. Meine Oma bückte sich und – rückte die Fußmatte gerade. Das hat mir zu denken gegeben. (...) Zumal ich es heute, nach einer postadoleszenten Phase der Gegenabhängigkeit, ebenso mache.

Was brachte sie, bringt mich dazu? Es ist die Sehnsucht nach dem Absoluten im anything goes (...), nach Notwendigkeit in der Kontingenz. Können wir denn, so frage ich, unser Leben leben mit derselben Notwendigkeit, mit der wir eine Matte geraderücken? Wir können es nicht. Hier bewährt sich die lebensweltliche Weisheit: Zu hause ist die Welt noch in Ordnung, macht das Leben Sinn. (...)

Lange vor Jürgen Habermas hat meine Oma den Kampf gegen neue Unübersichtlichkeit geführt, das Projekt der Moderne verteidigt und, in guter revolutionärer Tradition, bei sich selbst angefangen. (...) Halte deine Stube sauber! hat Mao gesagt. Er wußte, warum.

(Vortrag, gehalten am 7. März auf dem Kongreß für angewandte Alltags-Soziologie in Putzkau; gekürzt von Sven Hillenkamp)

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