Dokumentartheater: "Max" und "Fritz" und ihre Sehnsucht
Vom harten Leben chinesischer Wäscher erzählt das neue Stück der Gruppe „Das Letzte Kleinod“. Gespielt wird in alten Bahnwaggons.
BREMEN taz | Es gibt mehr als nur Zahlen: Globale Migrationsbewegungen lassen sich quantitativ erfassen und qualitativ. Im zweiten Fall würden zum Beispiel die Gründe untersucht, aus denen Menschen auf bestimmten Wegen reisen. Man erfährt dadurch, warum bestimmte Berufe überwiegend von bestimmten Migranten ausgeübt werden.
So mögen Chinesen in aller Welt für ihre Küche bekannt sein. Nicht nur in einschlägigen Comics waren sie aber oft auch diejenigen, die im Wilden Westen in Wäschereien arbeiteten – denn für den Beruf des Wäschers bedurfte es keiner ausgeprägten Sprachkenntnisse. Auch auf den Schiffen, die von Hamburg und Bremerhaven aus in alle Welt fuhren, waren bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein viele Chinesen als Wäscher unterwegs.
1891 begannen Bremer und Hamburger Reeder verstärkt Personal aus Asien zu rekrutieren. Schon damals ging es nicht zuletzt darum, Kosten zu sparen: Chinesen sagte man nach, schnell und billig zu arbeiten. Auch für den Nachschub sorgten – Chinesen. In Hamburg etwa beschaffte Chen Jilin, der 1915 nach Deutschland gekommen war, dem Norddeutschen Lloyd Wäscher, die auf den Schiffen ein Vielfaches von dem verdienen konnten, was sie in ihrer Heimat bekamen.
Über die Geschichten jener Wäscher hat die Theatergruppe Das letzte Kleinod nun ein dokumentarisches Stück gemacht. Vier Monate lang recherchierte Jens-Erwin Siemssen, Kopf der freien Theatertruppe, in Hamburg und Bremerhaven, in Shanghai und Ningbo, wo viele der Wäscher herkamen. „Heimweh nach Hongkong“ spielt, wie vom Letzten Kleinod gewohnt, an – erreichbaren – Originalschauplätzen. Die Premiere fand im September statt, am Bremerhavener Kaiserhafen, wo einmal ein chinesisches Seemannsheim stand. In Hamburg gibt es so eines heute noch, wenn auch nicht in jenem Stück Hafen, wo der Zug hält, in dem das Letzte Kleinod nun erstmals ein Stück aufführt. Dafür wurden im Sommer die Waggons gründlich überholt, einer dient jetzt dem Team als temporäre Heimat.
Der mobilen Spielstätte ist auch die Form des darin Gespielten geschuldet: Bis zu 25 Zuschauerinnen und Zuschauer erleben Waggon für Waggon Szenen aus dem Leben der Wäscher fern der Heimat: soziale Isolation an Bord, harte Arbeit, die fremde Küche – und das Heimweh nach Hongkong.
Im ersten Waggon erzählt ein deutscher Seemann (Andreas Kerbs), die Chinesen hätten allesamt „Max“ geheißen oder, – auf den Bremer Schiffen, „Fritz“. Denn die chinesischen Namen habe sich niemand merken können, und eine Integration habe keine der beiden Seiten angestrebt. Aber gegrinst hätten sie immer, die Chinesen.
Im nächsten Waggon geht es in eine Wäscherei, vorbei an Laken, die zum Trocknen aufgehängt sind. Die Arbeit war hart, die Hitze in den Waschküchen brutal, der Seegang ließ den Magen rebellieren. „Ich habe mich fast zu Tode gekotzt“, bekennt der Wäscher. Wem mag man es da verdenken, wenn er sich nach unbeschwerteren Tagen zurücksehnt, ans Schattentheater damals auf dem Dorfplatz.
Wanting Li, die den jungen Wäscher spielt, zeigt, wie man am schnellsten ein Hemd faltet, sie erklärt, wie man sich ein bisschen Geld nebenher verdient – mit privaten Waschaufträgen nämlich. Und sie zeigt, wie die Chinesen, denen die westlichen Namen ja nicht weniger unaussprechlich vorkamen, die Wäsche denen zuordneten, die sie brachten: Indem sie beispielsweise äußerliche Merkmale auf den Zettel am Wäschesack notierten. Das war nicht immer schmeichelhaft für den jeweiligen Kunden, aber entziffern konnte er es ja auch nicht. Und dann schlüpft Wanting Li kurz zwischen die Betttücher und führt in einer geradezu magischen Miniatur vor, wovon sie gerade erzählt hat.
Weniger poetisch, denn erwartungsgemäß: die Beschäftigung mit dem Wohnen im nächsten Waggon. Vom Lagerkoller in den Unterkünften berichtet da ein weiterer Wäscher, von der Angst vor den anderen Seemännern – und davon wie kalt es war, als er in Hamburg ankam. Im letzten Waggon gibt es dann ein zweigängiges chinesisches Menü, gekocht von einem echten chinesischen Schiffskoch, wie Jens-Erwin Siemssen erzählt. Auch auf diesem Gebiet gab es oft beträchtliche Anpassungsschwierigkeiten. Der Kellner berichtet von eigentümlichen bis ungenießbaren europäischen Mahlzeiten, Matjes zum Beispiel. Oder: „Tatar, das kann man doch nicht essen. Rohes Fleisch – da hat man doch Angst!“
Zu den schönsten Momenten dieser Inszenierung gehört es, wenn sich dann die kulturelle Differenz doch für Momente auflöst. Kaum zufällig geschieht das an dem Punkt, wo der unmittelbare Verwertungszwang endet, wo der Mensch ein kleines bisschen mehr bei sich sein will. Dort also, wo zwar auch nicht gerade das Reich der Freiheit beginnt, aber immerhin die Arbeit vorbei ist: Abends, wenn die Seeleute beisammensaßen und musizierten, fanden sie sich vereint in der Sehnsucht: „Fährt ein weißes Schiff nach Hongkong“, singt der Kellner mit ergreifendem Akzent.
Eine Premiere ist „Heimweh nach Hongkong“ für Siemssen Truppe übrigens in noch einer Hinsicht: Es ist das erste Stück, mit dem das Letzte Kleinod auf Tournee geht. Nach den Aufführungen in Hamburg spielt man Mitte November in Cuxhaven, dann in Deinste, Bremervörde und Worpswede.
5. bis 12. November, täglich 19 Uhr, Australiastraße, Hansahafen, Hamburg. Alle weiteren Termine: www.das-letzte-kleinod.de
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