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Dokumentarfilm über LeistungssportDer lange Weg nach Olympia

In seiner Langzeitdokumentation „Die Norm“ zeigt Guido Weihermüller, wie fünf Spitzensportler versuchen, sich für die Wettkämpfe in Rio zu qualifizieren

Die Norm im Blick: Weitspringer Sebastian Bayer Foto: studiocanal

Bremen taz | Schon der Titel ist desillusionierend. Ist „Die Norm“ nicht das Gegenteil von dem, was von Olympioniken erwartet und erhofft wird? Wie kann beim Kampf um die Medaillen eine Norm eine Rolle spielen? Die Geschichten der Sieger wurden im Sommer während der olympischen Spiele immer wieder erzählt, aber den Regisseur Guido Weihermüller störte bei dieser Berichterstattung, wie respektlos einige Journalisten über jene urteilten, die keine Medaille bekamen. Er sagt: „Für viele ist der zweite Sieger schon der erste Verlierer!“

Vor den Spielen ist für Tausende von Spitzensportlern weltweit tatsächlich eine Norm das Wichtigste, denn sie entscheidet, ob sie sich für die Wettkämpfe qualifizieren können. Eine Punktzahl, eine Weite, ein Rang, eine Zeitmessung – dafür trainieren sie jahrelang und um diesen Prozess geht es Weihermüller in seinem Film.

20 Monate lang hat er fünf Spitzensportler mit der Kamera begleitet, die im Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein trainiert haben. Der Ruderer Tim Ole Naske, der Weitspringer Sebastian Bayer, der Schwimmer Jacob Heidtmann und das Beachvolleyballteam Markus Böckermann/Lars Flüggen werden bei Wettkämpfen, beim Training, mit der Familie und mit den Freundinnen, aber auch sehr oft bei Arztbesuchen und in Krankenhäusern gefilmt.

Es ist desillusionierend, in welchem Maße medizinische Probleme die Chancen der Sportler beeinflussen. Da werden auch ohne Dopingverdacht viele Spritzen gesetzt und einen Meniskus, der nicht in Ordnung ist, heilt der Sportarzt nicht wirklich, sondern entscheidet sich statt dessen für eine riskante Zwischenlösung und sagt dann „nach Olympia muss man mal sehen.“

Weihermüller zeigt, wie Spitzensportler leben, etwa Jacob Heidtmann, der als der fünfschnellster Schwimmer der Welt in einem eher ärmlichen Einzimmerapartment wohnt. Frühmorgens vor dem Training sagt er, dass er die Lust am Schwimmen längst verloren habe und statt dessen oft nur noch denkt „jetzt geht es wieder los“.

Der Springer Sebastian Bayer ist ein sogenannter „Sportsoldat“, der von der Bundeswehr gefördert und finanziert wird. Wenn einer seiner Vorgesetzten davon spricht, er sei „das Idealbild einer Führungspersönlichkeit“, wird klar, in welchem Ausmaß er dabei instrumentalisiert wird. Vergleichsweise locker scheint dagegen das Leben der beiden Beachvolleyballspieler zu sein, die zu Turnieren nach Katar und Rio fahren, aber dafür auch ständig in kleinen Hotelzimmern aufeinander hocken.

Unkluge Karriereschritte

Die Episode von Ludwig und Walkenhorst war schwächer, weil es in ihr kaum Rückschläge gab

Denn als Athleten in Randsportarten werden sie alle kaum gefördert und der Film macht eindeutig klar, dass es keine kluge Karriereentscheidung ist, seinen Körper jahrelang bis zum Äußersten zu belasten, wenn als Lohn bloß die Teilnahme an den Olympischen Spielen winkt. In einigen Momenten gelingt es Weihermüller, zumindest eine Ahnung davon zu vermitteln, was seine Protagonisten wirklich antreibt, und in diesem Sinne ist „Die Norm“ mehr als ein Sportfilm.

Die Szenen von einer „Ergo-Kaderprüfung“, bei der sich Tim Ole Aske mit anderen Ruderern bis zur völligen Erschöpfung an einem Sportgerät abmüht, um eben eine nötige Norm zu erreichen, sind Weihermann dabei genauso wichtig wie Einstellungen von Heidtmann, der sich mit seiner Mutter nicht darüber einig werden kann, wann der Mülleimer in seiner Wohnung geleert werden sollte.

Natürlich nimmt im Laufe des Films die Spannung zu, und der letzte Akt ist dann großes Theater mit einer Parallelmontage, bei der sich zu hymnisch anschwellender Filmmusik hochdramatisch entscheidet, wer nach Rio darf und wer nicht. Konsequent verweigert Weihermüller dannach jede Information darüber, wie sich die Auserwählten dann bei den Spielen behauptet haben.

Doch der Film ist zwar der ambitionierteste, aber nicht der einzige Teil dieses Langzeitprojekts. Es wurde auch als eine Webdokumentation konzipiert, für die insgesamt neun Sportler und Sportlerinnen in 47 Episoden und 62 Videotagebuch-Eintragungen vorgestellt wurden. Zu ihnen zählten auch die Beachvolleyballerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst, die dann in Rio die Goldmedaillen gewannen.

Weihermüller hätte es sich viel einfacher machen können, wenn er ihre Episode in den Film integriert hätte. Zudem hätte er dann nicht nur männliche Protagonisten gehabt. Aber für ihn waren die fünf Geschichten, die er nun in „Die Norm“ erzählt, besser und erkenntnisreicher. Die Episode von Ludwig und Walkenhorst war in den Augen des Regisseurs schwächer, weil es in ihr kaum Rückschläge und so auch wenig Spannung gab.

Material aus Rio

Für das Duo war ein anderer Rahmen passender und so entschied sich Weihermüller kurzfristig dafür, über die beiden einen eigenen Film zu machen. Dafür drehte er zusätzliches Material in Rio und initiierte eine Crowdfunding-Kampagne, die es ihm ermöglichte, mit einer zweiten Cutterin schnell die Dokumentation „Ludwig/ Walkenhorst – Der Weg zu Gold“ fertigzustellen, die im Oktober in einer 45-Minuten-Kurzfassung in der ARD gesendet und danach als etwa doppelt so langer „Director’s Cut“ als DVD veröffentlicht wurde.

„Die Norm“ wurde ohne Fernsehgelder mit Mitteln der Filmförderung Hamburg/Schleswig-Holstein finanziert, ist bis jetzt noch nicht an einen Sender verkauft und hatte keinen Bundesstart, wie er bei Kinofilmen üblich ist. Stattdessen wird er seit einigen Wochen nacheinander in verschiedenen Regionen präsentiert.

In dieser Woche beginnt eine Kinotour durch Schleswig-Holstein mit einer regionalen Premiere am 17. Januar im Studio Filmtheater in Kiel, bei der der Regisseur und einige der Sportler zu Gast sein werden. An den Tagen danach wird er in Lübeck, Flensburg und Schleswig gezeigt und im Februar dann in Hannover. Eine DVD soll im März veröffentlicht werden.

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1 Kommentar

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  • Zitat: "Ist 'Die Norm' nicht das Gegenteil von dem, was von Olympioniken erwartet und erhofft wird? Wie kann beim Kampf um die Medaillen eine Norm eine Rolle spielen?"

     

    Der Widerspruch ist ganz leicht aufzulösen: Unter Olympioniken bekommt das Wörtchen Norm seine Bedeutung nicht von denen, die die Höchstleistung vollbringen, sondern von Leuten, die zu Höchstleistungen führen wollen.

     

    Außerhalb der Kaderschmieden sagt die Norm darüber was aus, was die "Normalen" machen oder sind. Unter Olympioniken ist die Norm ein Richtmaß, das der Trainer festlegt – und zwar mit Blick auf das ersehnte Ziel, nicht als Beschreibung eines Ist-Zustands. Es ist die Latte, die die Besten überspringen müssen. Nicht nur an Tagen, die besonders gute Tage sind, sondern auch an normalen Tagen. Nur dann sind Trainer-Risiken berechenbar.

     

    Nein, Stars der Olympiaden sind nicht die Sportler, die allesamt außergewöhnliches leisten in ihrer Sportart. Stars sind lediglich die Sieger – und deren Trainer. Die Trainer aber müssen Normen setzen, die nur die Besten aller Besten regelmäßig schaffen können. Tun sie das nicht, sind sie moralisch in der Tonne.

     

    Dann müssten sie sich nämlich schämen dafür, dass sie so unendlich viel "Ausschuss" produzieren um ihres ganz persönlichen Triumphes willen. Und zwar auch unter solchen Sportlern, die sich ihr ganzes Leben lang geschunden haben im Namen der verdammten Norm, die aber im entscheidenden Moment nicht "on the top" gewesen sind.

     

    Um es mal politisch-unkorrekt zu sagen: Im Sport wird zu viel selektiert. Die Selektion ist gar nicht zu begründen ganz ohne "Norm". Es ist ja nicht die Leistung, die bewertet wird. Es ist vor allem sehr viel Glück dabei.

     

    Nein, es "[ist] keine kluge Karriereentscheidung […], seinen Körper jahrelang bis zum Äußersten zu belasten, wenn als Lohn bloß die Teilnahme an den Olympischen Spielen winkt". Aber fürs Denken wurden ja bisher auch nur die wenigsten Olympioniken ausgezeichnet.