Doku über einen Hamburger Afghanen: Filmstar, Flüchtling, Pizzabäcker
Der Hamburger Filmemacher Mahmoud Behraznia erzählt in seiner Dokumentation „Der Prinz“ die erstaunliche Lebensgeschichte seines afghanischen Freundes Jalil Nazari.
HAMBURG taz | Als die Hamburger Morgenpost vor einiger Zeit in einem Artikel „die 10 beliebtesten Italiener“ der Stadt vorstellte, war einer von ihnen der Afghane Jalil Nazari. Dies ist nur eine der vielen Absurditäten im Leben des Mannes, das genügend Stoff für einen großen Gesellschaftsroman oder einen aufwühlenden Spielfilm liefern würde. Stattdessen ist es eine Dokumentation geworden: „Der Prinz“, gedreht vom Hamburger Regisseur und Schauspieler Mahmoud Behraznia, der Nazari seit vielen Jahren nicht nur mit der Kamera begleitet, sondern dessen Geschichte auch entscheidend mitgeprägt hat.
Jalil Nazari floh als junger Mann aus Afghanistan in den Iran, weil er sich durch das Taliban-Regime bedroht fühlte. Im Iran schlug er sich als illegal Eingereister mehr schlecht als recht durch, bis er 1999 von dem Regisseur Hassan Yektapanah entdeckt wurde, der ihn für die Hauptrolle in seinem Spielfilm „Djomeh“ besetzte. Darin verkörpert er einen einsamen jungen Flüchtling, also im Grunde sich selbst.
Die zweite Hauptrolle spielte der damals schon in Deutschland lebende Mahmoud Behraznia, und die beiden wurden während der Dreharbeiten Freunde. Der Film wurde nach Cannes eingeladen und dort mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. Nazari war nicht nach Südfrankreich gefahren, aber sein Freund Behraznia regte später im Jahr die Organisatoren des Filmfest Hamburg dazu an, ihn nach Deutschland einzuladen.
Vier Tage lang wurde Nazari auf dem Hamburger Festival gefeiert. Doch dann stellte sich heraus, dass er als illegaler Flüchtling befürchten musste, nach Afghanistan abgeschoben zu werden, und nicht wieder in den Iran einreisen konnte. Er stellte einen Asylantrag und lebte in einer Containersiedlung in der tiefsten sächsischen Provinz.
Behraznia hatte schon private Videoaufnahmen bei den Dreharbeiten zu „Djomeh“ gemacht und seit Nazaris Ankunft in Hamburg begonnen, ihn mit der Kamera zu begleiten. Er warf den Organisatoren des Hamburger Filmfest vor, den von ihnen eingeladenen Gast nach dem Festival in Stich gelassen zu haben, filmte den Hausmeister des Flüchtlingslagers während einer Schimpfkanonade, bei der er die Insassen pauschal als „Dreckschweine“ bezeichnete und eine gespenstisch wirkenden Zeremonie, bei der der Lagerleiter Nazari in einem der Wohncontainer einen Preis überreichte, den dieser beim Filmfest in Moskau als bester Schauspieler bekommen hatte. 2002 brachte Behraznia die Dokumentation „Der Weg zum Paradies“ heraus, in der er Nazaris Geschichte bis zu diesem Punkt erzählt.
Aber er half seinem Freund auch weiterhin und begleitete ihn die nächsten elf Jahre mit der Kamera. Nazaris arbeitete illegal als Zeitungsverkäufer in Leipzig, wurde dann aber, wohl weil sein Fall durch den Film bekannt geworden war, nach einem Jahr als politischer Flüchtling anerkannt und bekam schließlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Behraznia vermittelte ihm Arbeit in der Pizzeria „Mamma Mia“ in Altona, wo er seitdem arbeitet und als einer der „beliebtesten Italiener“ ausgezeichnet wurde.
2010 reiste er zum ersten Mal wieder zurück nach Afghanistan, wo er seine Familie besuchte, die mit dem von ihm gesandten Geld ein Haus gebaut hatte und in vergleichsweise gesicherten Verhältnissen lebt. Nazaris wurde als der reiche Verwandte aus dem Westen gefeiert, ging auf Brautschau und heiratete. Seine Frau, sein Kind und seine Schwester holte er zu sich nach Hamburg. Der Film endet mit Bildern, wie er 2013 seine Familie im eigenen Auto vom Flughafen abholt.
In seinem Film nimmt sich Behraznia selber so weit wie möglich zurück. Aber er kann sich natürlich nicht ganz ausblenden, und so sieht man ihn etwa in Ausschnitten des Spielfilm „Djomeh“, bei der ersten Ankunft von Nazaris auf dem Hamburger Flughafen und mit Tränen in den Augen, wenn er ihn vom Hamburger Bahnhof ins Flüchtlingslager reisen lassen muss.
Erzählt wird die Geschichte von Nazaris selbst im Off, wodurch er auch filmisch zum souveränen Gestalter seines eigenen Lebens wird. Interessant wird diese Perspektive vor allem bei den Sequenzen von seiner Reise nach Afghanistan, denn er sieht sein Geburtsland nun eher mit den Augen eines Außenseiters, der die staubige, unbefestigte Landstraße zu seinem Heimatdorf mit den Autobahnen in Deutschland vergleicht.
Er ist zwar der gefeierte, erfolgreich zurückgekehrte Sohn, bleibt aber auch in seiner Heimat ein Fremder. In einer berührenden Szene beschwört ihn seine Mutter, mit seiner Familie zurück nach Deutschland zu gehen, weil Afghanistan kein sicherer Ort für ihn sein kann. Behraznia schaut und hört genau hin, und so gelingen ihm bemerkenswerte Momentaufnahmen vom alltäglichen Leben in Afghanistan. So nennt etwa ein Taxifahrer alle westlichen Soldaten in seinem Land „die Natos“, und beim Spielen droht ein Kind einem anderen mit dem Satz „Pass auf, dass ich aus dir keinen Märtyrer mache!“
Behraznia erzählt die nicht unkomplizierte Geschichte sehr klar und einfach und deswegen kann er es sich leisten, abzuschweifen. So zeigt er gerne singende Menschen. Schon bei den ersten Szenen von einer Feier bei den Dreharbeiten zu „Djomeh“ wird von den Männern ein Lied angestimmt. Einen Hamburger Straßenmusiker lässt er ungeschnitten, mit Nazaris unter den Zuhörern, sein Lied „Der Wind trägt sie davon“ vortragen, weil darin so schön über „die Vergänglichkeit“ gesungen wird, die für ihn ein Grundthema seines Films ist.
„Der Prinz“, im vergangenen Jahr fertiggestellt, hat schon eine beeindruckende Festivalkarriere hinter sich. Er gewann auf einem Festival im Iran den Preis für die „beste technische und künstlerische Leistung“ und wurde danach nach Japan und Brasilien eingeladen. Ausgerechnet das Filmfest Hamburg hat ihn dagegen abgelehnt.
„Der Prinz“ läuft bei der kommende Woche beginnenden Dokumentarfilmwoche Hamburg: Sa, 11. 4., 20.30 Uhr, Kino Lichtmess
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!