Doku über afrikanische Läufer: Kenianer in Bitterfeld
Knud Vettens Sportdoku „Sportsfreunde“ erzählt von zwei Freunden aus verfeindeten Gruppen in Kenia. Und er zeigt, wie sie als Läufer in Deutschland leben.
Peter Junge hält einen halb verbrannten Laufschuh in der Hand. Junge, ein Rentner aus Sachsen-Anhalt, steht in einem ländlichen Gebiet in Kenia. Rechts neben ihm stand einst ein Haus – niedergebrannt. Links stand ein weiteres – niedergebrannt. Die Flächen erahnt man noch. „Den nehm ich mit nach Hause“, sagt er, „um den Leuten zu zeigen, was aus Pauls Laufschuh geworden ist.“
Junge ist Lauftrainer. Der Schuh gehört seinem Schützling Paul Muigai Thuo. Thuo ist ein schmaler, großer – wichtiger: schneller – Kenianer. Der steht neben ihm, zeigt ihm die Ackerflächen, die er einst besaß. Und er zeigt ihm die niedergebrannten Häuser seines Dorfes. Sein Trainer zittert vor Wut. Tränen stehen in seinen Augen.
Dies ist eine der bewegendsten Szenen aus „Sportsfreunde“, einem Dokumentarfilm von Knud Vetten, der in diesen Tagen auf Tour durch deutsche Kinos ist. Der Film erzählt die Geschichte zweier Läufer aus Kenia, Thuo und Isaak Kiplagat Sang, die Lauftrainer Junge in seinen Leichtathletikverein nach Bitterfeld holt.
Die Läufer sind befreundet, stammen aber aus verfeindeten ethnischen Gruppen, die während der Unruhen in Kenia 2007/2008 erbittert um Land kämpfen. Thuo und Sang laufen Marathons in Europa, um ihre Familien zu ernähren. Für den Bitterfelder Sportverein werden sie beim Mitteldeutschen Marathon in Halle/Saale zu den Aushängeschildern.
Viel guter Wille
„Sportsfreunde“ ist ein hochpolitischer Film, in dessen Zentrum die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen Kikuyu und Kalenjin-Nandi stehen. Thuo ist Kikuyu, sein Freund Sang Kalenjin. Daneben wird die Frage aufgeworfen, unter welchen Bedingungen afrikanische Marathonläufer nach Europa geholt werden: In der Regel als Goldesel – und in der Regel werden sie auch wie solche behandelt. Sie sollen alles kriegen, so Trainer Junge im Film.
Zu Beginn der Doku traut man dem guten Willen noch nicht so recht. Wie diese kenianischen Läufer da in die tiefste deutsche Provinz geschmissen werden, wie man Witzchen mit ihnen macht, auch wie die Kamera mit dem Wechsel zwischen Close-up-Einstellungen und Halbtotale zu Beginn ein Reality-TV-Format zeichnet, das macht erst mal skeptisch. Die Motive sind dem Zuschauer noch unklar, man vermutet vielleicht etwas Gebieterisch-Gönnerhaftes dahinter.
Doch diese Skepsis verschwindet schnell. Das liegt vor allem an dem Trainer, der wirklich an dem Schicksal seiner Schützlinge interessiert ist, der Anteil nimmt – und der selbst zum heimlichen Protagonisten wird. So reist er nach Kenia und lässt sich dort von Thuo und Sang deren Lebensgeschichten erzählen.
Wie entstand der Konflikt?
Bei Isaak findet er familiäres Leben in Lehmhütten mit Wellblechdach vor, bei Paul trifft er eine ursprünglich reiche Familie an, die bei den Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Ethnien ihr Hab und Gut verloren hat. Im Film versucht man nun aufzuklären, wie der Konflikt entstand – und man vermeidet gekonnt vorschnelle Schuldzuweisungen.
Die Dokumentation gewinnt zusehends an Tiefe, der Film geht den Geschichten nach, stellt Fragen. Die Unruhen begannen nach den Präsidentschaftswahlen Ende 2007, nachdem das Wahlergebnis in Kenia von den Oppositionsparteien angezweifelt wurde. Die Volksgruppe der Kikuyu gehörte zu den am meisten attackierten Gruppen. Der Familie Thuos hängen diese Auseinandersetzungen bis heute nach, zu den Verbrechen an seiner Familie gab es keinen Prozess. In wenigen Tagen, am 4. März, sind wieder Wahlen in Kenia.
„Sportsfreunde“. Dokumentation von Knud Vetten. Deutschland 2013. Der Film tourt derzeit durch Kinos in Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht