Doku über Homosexualität in Kamerun: Suchen gegen alle Widerstände
Wer sich engagiert, muss mit Repression rechnen: Der Dokumentarfilm „Code der Angst“ von Appolain Siewe geht der Homophobie in Kamerun nach.
Sieben Bilderrahmen hängen an der Wand der Erinnerung im Espace Roger Jean-Claude Mbede in Douala in Kamerun. In sechs der sieben Bilderrahmen sind Fotos getöteter LGBTQ+-Aktivist:innen zu sehen, im siebten Rahmen steht unter einem Platzhalter nur ein Name und ein Geburtsdatum. Kleine Tafeln geben den sieben Menschen eine Geschichte.
Der Dokumentarfilm „Code der Angst“ des kamerunisch-deutschen Regisseurs Appolain Siewe beginnt mit dem Mord an dem jungen Journalisten und LGBTQ+-Aktivisten Eric Lembembe im Jahr 2013. Als er dessen Freund und Wegbegleiter Lambert Marc Lamba auf die Ermordung Lembembes anspricht, kommen Lamba die Tränen.
Dann erzählt er von den Einzelheiten des brutalen Mordes. Als die Feuerwehr Lembembe später tot aus seiner Wohnung birgt, weigert sie sich, die Leiche eines schwulen Mannes ins Krankenhaus zu bringen, und wirft ihn einfach an den Straßenrand.
Als Lembembes Mutter ihren Sohn schließlich mit einem geliehenen Auto zum Krankenhaus fährt und eine Autopsie verlangt, weigern sich die Mitarbeiter. Appolain Siewe versucht in seinem Debüt als Kinodokumentarist ausgehend von dem Mord an Lembembe zu verstehen, warum die Homophobie im Land seiner Geburt so ausgeprägt ist.
„Code der Angst“. Regie: Appolain Siewe. Deutschland 2023, 82 Min.
Ein fremdgewordenes Land
Appolain Siewe erfährt von Lembembes Tod in seiner Wahlheimat Berlin. Ihm drängen sich Fragen nach den Hintergründen der brutalen Homophobie in Kamerun auf. Siewe macht sich auf die Suche, fliegt nach Kamerun und stellt schnell fest, dass ihm das Land seiner Geburt nach Jahrzehnten eines Lebens in Deutschland fremd geworden ist.
In der Hauptstadt Jaunde trifft er sich mit Menschenrechtsaktivist_innen wie Alice Nkom und LGBTQ+-Aktivist_innen wie Lambert Marc Lamba, bevor er nach Douala weiterfährt, um seine Eltern zu treffen. Doch die weichen seinen Versuchen aus.
Dafür wird er von Lamba und anderen mit offenen Armen zu Treffen der lokalen Queerszene eingeladen. Von dem Mord an Eric Lembembe ausgehend stößt Siewe auf eine Lawine von Gewalterfahrungen. Die Toten an der Wand erweisen sich als Spitze des Eisbergs von allgegenwärtiger Gewalt als Ausdruck tief sitzender Homophobie.
Appolain Siewe kam 1997 zum Filmstudium nach Berlin, arbeitete am Deutschen Theater Berlin, später als Print- und Videojournalist. 2010 gründete er seine eigene Produktionsfirma für Dokumentarfilme, Einheit Film. Aktuell arbeitet er an einem Film über die Arbeit Alice Nkoms als Menschenrechtsanwältin und die Unterdrückung von Frauen.
Unermüdliche Suche
„Code der Angst“ ist formal eher schlicht gehalten, und man merkt dem Film an, dass Siewe bisher mehr als Videojournalist denn als Regisseur für Kinodokumentarfilme gearbeitet hat. Das gilt vor allem für die Szenen, in denen Siewe seine eigene Annäherung an das Thema sichtbar macht. In diesen Szenen kann man den inneren Fernsehredakteur quasi hören.
Die Qualität des Films liegt denn auch eher in der Unermüdlichkeit, mit der er gegen alle Widerstände seine Suche fortsetzt und sie mit sich selbst und seiner Familiengeschichte verwebt. Der Film sollte auch für ihn Auswirkungen auf Freundschaften und Verwandtschaftsbeziehungen haben.
So wenig einen die Existenz von Homophobie überraschen wird, so erschreckend sind doch deren Ausmaße. Schon die Anerkennung der Tatsache, dass Homosexualität immer schon auch Teil von afrikanischer Kultur war und bis heute ist, bleibt jenseits der LGBTQ+-Szene eine Seltenheit.
Andererseits hat die Brutalität und die Verlogenheit der Verfolgung von queerer Liebe in dem zentralafrikanischen Land einige wie Alice Nkom oder den Leiter der evangelischen Universität Jean-Blaise Kenmogne dazu bewogen, sich für LGBTQ+-Rechte zu engagieren. Sie alle haben für ihr Engagement umgehend die gesellschaftliche Repression zu spüren bekommen.
Offenheit gegenüber einem großen Tabu
Auch wenn „Code der Angst“ über seine gesamte Dauer stärker journalistisch geprägt bleibt und dabei formal weniger beeindruckt, kommt man beim Sehen nicht um das Eingeständnis herum, dass Siewes Bescheidenheit der Form vielleicht genau die richtige Form für diese Art Film ist.
Siewe nähert sich mit großer Offenheit einem Thema, das in Kamerun tabu ist, sucht mit großer Beharrlichkeit, nachdem sich der Eindruck, den er von den Ausmaßen der Homophobie aus der Ferne in Berlin bekommen hatte, bei der Begegnung mit Kindheitsfreunden und Zufallskontakten noch als zu schwach erweist, bei Betroffenen und deren Verbündeten nach Erklärungsansätzen und Widerstandsstrategien.
Es ist unmöglich, den Mut der LGBTQ+- und Menschenrechts-Aktivist_innen, die Siewe im Laufe seines Films trifft, nicht zu bewundern – einen Mut, den niemand brauchen sollte. „Code der Angst“ ist dank seines Regisseurs und der Menschen, die der Film porträtiert, ein überaus eindrucksvoller Dokumentarfilm.
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