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Doku bedingungsloses GrundeinkommenWas wäre, wenn

"Bedingungslos glücklich" durch die zwangfreie Existenzsicherung? Was wäre, wenn wir nicht mehr arbeiten müssten? Eine 3sat-Doku (20.15 Uhr) geht diesen Fragen nach.

Demo am Brandenburger Tor für ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Bild: dapd

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens hat in den letzten zwei Jahrzehnten in Deutschland für Unterstützung und heftigen Widerspruch gesorgt. Während die einen in der Entkopplung von Arbeit und Einkommen einen Weg zu neuen Freiheiten und kreativer Selbstverwirklichung sehen, fürchten die Gegner nichts weniger als den Untergang: Niemand würde mehr etwas tun, wenn der Zwang zur Lohnarbeit entfiele, die Räder stünden still.

Macht die zwangfreie Existenzsicherung "Bedingungslos glücklich?", fragen dementsprechend die Filmemacherinnen Sabine Jainski und Ilona Kalmbach in ihrer 45-minütigen Dokumentation über "Freiheit und das Grundeinkommen", die am heutigen Freitag auf 3sat läuft. Sie ist der Auftakt einer Themenwoche, die mit "Sein oder Haben" betitelt ist.

Jainski und Kalmbach lassen prominente Befürworter und Gegner wie die Linken-Politikerin Katja Kipping oder den Philosophen Julian Nida-Rümelin zu Wort kommen: "So attraktiv die Idee ist, so gefährlich wären ihre konkreten Folgen", fällt dieser sein Urteil über einen Ansatz, den schon Thomas Morus 1516 in seinem Werk "Utopia" beschrieb.

Dem kann die Praxis bisher wenig entgegensetzen: Zwar zeigt der Film, dass beispielsweise in Brasilien und Namibia in zwei kleinen Dörfern versuchsweise ein niedriges Grundeinkommen aus Spendengeldern ausgezahlt wurde, doch letztlich lebt die Diskussion vor allem von Theorie, der Frage: Was wäre, wenn …? Diese Schwäche verwandelt der Film allerdings in eine Stärke, er regt an, genau darüber nachzudenken.

Untersuchungen zeigen, dass bereits heute zwei Drittel aller Arbeitsstunden in Deutschland unbezahlt geleistet werden. Für Hausarbeit, Pflegetätigkeiten oder Ehrenämter bringen die Menschen deutlich mehr Zeit auf als für Lohnarbeit. Und dennoch würden die meisten nicht von ihr lassen: 60 Prozent der Arbeitnehmer wollten auch mit Grundeinkommen weiterarbeiten wie bisher, zeigt eine Umfrage, nur 10 Prozent würden es ganz sein lassen. Trotzdem glauben 80 Prozent, ihr Nachbar würde sich im Falle des Falles auf die faule Haut legen.

Wer soll das bezahlen?

Und wer sollte das bezahlen? Die Professorin Ute Luise Fischer erläutert, dass das Grundeinkommen beispielsweise über die Erhebung eines einheitlichen Steuersatzes von 40 Prozent auf alle Einkommen wäre. Im Übrigen gibt der Staat schon heute 12.500 Euro pro Jahr und Kopf für Sozialleistungen aus. Allerdings liegt hier ein Schwachpunkt des Films: Weder fragt er danach, ob solch ein einheitlicher Satz für niedrige und hohe Einkommen gerecht wäre, noch diskutiert er ausführlich die unterschiedlichen Vorstellungen über die Höhe des Grundeinkommens, die von 400 bis 1.500 Euro reichen.

Letztlich kapriziert er sich vor allem auf das Modell "solidarisches Bürgergeld" in Höhe von 600 Euro monatlich, das der ehemalige thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) bewirbt. Außen vor bleibt die Frage, wie viel freie Selbstentfaltung dieser Betrag überhaupt bietet und wie deutlich höhere Sätze zu finanzieren wären.

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10 Kommentare

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  • M
    Martha

    Mal ganz davon abgesehen, dass in allen Rechenbeispielen ganz klar nicht der Normalbürger als "Gewinner" dieses GE-Spiels hervor geht: Dieser Film zeigt aufgund seines ganzen manipulierenden Niveaus, welche Ausmaße die GE-Diskussion unterdessen angenommen hat. Das Thema GE ist zu einer riesigen Gelddruckmaschine verkommen und "jeder" versucht, noch schnell auf diesen Zug aufzuspringen und abzusahnen. Das weiß ich, weil ich selbst im Medienbereich arbeite! Keiner macht sich mehr Gedanken darum, wo diese Berge von Geld herkommen, mit denen Pro-GE-Filme wie dieser gefördert werden. Buchautoren, Kolumnisten, Regisseure usw. schwimmen unterdessen im "GE-Geld". Das gibt anscheinend niemandem zu denken.

  • H
    Hans

    Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe, Arbeitslosengeld II und die Idee eines Grundeinkommens: Die Gefährlichkeit von Transfereinkommen existiert nur in der Angsphantasie von Arbeitgeberverbänden, die vor allem etwas gegen die Lohnbestandsteile haben, die sie selber entrichten müssen. Die werden deswegen auch nie so genannt, sondern stetig als Kosten bezeichnet, so wie Materialkosten, Instandsetzungskosten etc.

     

    Und bei demograhischen Dellen wird der Anteil wohl oder übel steigen müssen. Rechnet man die Produktivitätsentwicklung und 400-EURO-Modelle dagegen, kommen die Arbeitgeber aber ganz gut damit weg. Es ist keinesfalls so dramtisch, wie von denen dargestellt.

     

    Die Diksussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen ist meiner Meinung nach aber Geisterdebatte, weil der Mensch in Deutschland immer noch nach Arbeit, vor allem Vollzeitarbeitsplätze dürstet, nicht nach einem Müßigang mit Bezahlung.

     

    Die Einführung der 4-Tage-Woche bei VW rief wenig Begeisterung bei den Arbeitern hervor. Und die Einführung der 5-Tage-Woche lief reibungslos ab. Letztlich geht es Normalarbeitern wohl eher ums Gehalt, als um die Freizeit, auch wenn Dauerüberstunden irgendwann auf Ablehnung stoßen.

     

    Und das Recht auf Arbeit wäre meiner Meinung nach viel besser als Diskussionsgrundlage geeignet, wie das Recht auf ein Einkommen ohne Arbeit. Bisherige Transferleistungen sind heute nicht mehr armutsfest und führen bei den Betroffenen zu zahllosen Problemen, das Gefühl der Nutz- und Wertlosigkeit ist bei solchen Menschen sehr verbreitet.

     

    Und deswegen muss ich sagen, ist es vielleicht eine Anregung zu sagen, wir garantieren ein Grundeinkommen für Jeden, aber fast jeder will arbeiten, vor allem einen Normaljob mit einem Normaleinkommen. Wenn man jetzt dafür ein Normaleinkommen ohne Arbeit anbietet, wird sich an dem Stimmungsbild nicht viel ändern.

  • H
    hto

    Wenn GRUNDSÄTZLICH alles allen gehört, auf der Basis eines GLOBAL bedingungslosen MENSCHENRECHTS auf Nahrung, Wohnen und Gesundheit, kann PRINZIPIELL alles menschlicher / wirklich menschenwürdig ORGANISIERT werden - "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" hätte keine Macht mehr!

  • H
    hto

    "Was wäre, wenn wir nicht mehr arbeiten müssten?"

     

    - das ist eine blöde Frage von Menschen die wenig bis kein Bewußtsein nutzen können, weil sie im Übermaß funktionalisiert von und zu Bewußtseinsbetäubung in gutbürlich-gebildeter Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche sind!

     

    Wenn ..., dann gäbe es den menschlich-entartenden Wettbewerb nicht mehr, kein Steuern zahlen, keine "Sozial"Versicherungen, keine manipulativ-schwankende "Werteordnung", keinen Zeit-/Leistungsdruck zu einer Karriere von Kindesbeinen, usw., aber vor allem würde unsere Kommunikation von eindeutiger Wahrheit und unkorrumpierbarer Freiheit leben und leben lassen - geistig-heilendes Selbst- und Massenbewußtsein, würde die stumpfsinnigen und brutal-egoisierenden Symptomatiken des "Individualbewußtseins" im geistigen Stillstand seit der "Vertreibung aus dem Paradies" beenden und zu bisher nur erahnbaren Möglichkeiten führen!?

  • HW
    Henrik Wittenberg

    Die Frage der Umsetzung – wie also ein bestimmtes Finanzierungsmodell ausgestaltet werden muss, damit ein faires gesellschaftliches Teilungsverhältnis mittels Steuern zustande kommt – wird sich eher am Ende der Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen stellen, wenn also aus dieser Idee eines Kulturimpulses eine politische Forderung seitens der deutschen Bevölkerung wird (diese wird dann diejenigen mit der Umsetzung beauftragen, die dazu aufgrund ihrer Expertise in der Lage sind).

     

    Das bedeutet keineswegs, dass wir momentan nicht über solche Fragen diskutieren sollten; aber sie stehen uns angesichts des derzeitigen Stands der gesellschaftlichen Debatte bei der erforderlichen Aufklärung über das Grundeinkommen eher im Weg, und werden deshalb völlig zu Recht von der Dokumentation nicht in den Vordergrund gestellt (wenn ich der Rezension von Frau Völpel im Vorfeld der Ausstrahlung glauben schenken darf).

     

    Henrik Wittenberg

    Kölner Initiative Grundeinkommen e.V.

  • B
    Barbie

    Ihren Kommentar hier eingeben

    Eine Freundin ist mit ihrem Mann nach Oman gegangen, um dort an einer Schule zu unterrichten. Sie sagt:

    "Sie machen was sie wollen, lassen sich nichts sagen, denn sie haben es nicht nötig zu lernen, da sie nach der Schule nicht für ihren Unterhalt arbeiten müssen."

    Vermutlich führt Nichtstun in die Dekadenz, obwohl ich den Gedanken durchaus verlockend finde.

  • H
    Hallo?

    Einfach mal das Parteiprogramm von der DDP lesen!

  • E
    EuroTanic

    Einkommen muss von der Arbeit generell losgelöst werden. Denn was hat uns diese Art von Ordnung gebracht? Profitgier, Umweltzerstörung, Korruption, menschliches Leid und Sozialdarwinismus.

    Allerdings gibt es genügend Arbeit für jedermann, auf sozialem, ökologischem und auch auf kulturellem und künstlerischem Gebiet. Wir müssen weg von unserem jetzigem System aus planwirtschaftlichem Profitismus Einzelner und sozialdarwinistischer Ausbeutung der Massen.

  • I
    Ingo

    Subventionen streichen, dann wären es deutlich mehr als 600€.

    Das Grundeinkommen würde unsere Wirtschaft ändern, wir wären auf die Bedürfnisse des Volkes eingestellt und nicht auf den Nutzen einger weniger, die hier exportieren.

  • JR
    Jan Reyberg

    Es kommt ja nicht nur auf irgendeine diffuse freie Selbstentfaltung an.

    Viel interessanter ist die Frage, ob sich durch ein Bürgergeld nicht die gesamte Sozialsbürokratie in ein einheitliches klares und transparentes und effizientes System überführen ließe.

    Rente (langfristig), Bafög, Kindergeld, Arbeitslosengeld II und so weiter weg. Schön wäre dann auch eine gleichzeitige Umstellung auf Gesundheitsprämie und Entkopplung von Sozialkassen und reinem Lohneinkommen...

     

    Ich möchte auch vorsorglich schonmal darauf hinweisen, dass ein einheitlicher Steuersatz in Kombination mit Bürgergeld immernoch eine progressive Durchschnittsbesteuerung bedeutet, bevor wieder irgendwelche unqualifizierten Kommentare auftauchen.