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Döpdidu in Nahaufnahme

Wiederentdeckung empfohlen: Hansjürgen Pohlands Jazzer-Porträt „Tobby“ von 1961

Von Jens Uthoff

Das süße Leben der Boheme aus der Vogelperspektive: ein Appartement in Berlin, von oben gefilmt, in Schwarzweiß, im Zeitraffer. Jazzmusiker Tobby sitzt mit nacktem Oberkörper im Sessel und raucht, nimmt einen Schluck aus dem Glas, legt sich kurz dar­auf auf den Boden, zwischen Aschenbechern und Bierflaschen; seine Geliebte Evi liegt auf dem Teppich, schaut gen Decke, scheint trunken zu träumen. Die Leidenschaft der beiden gehört dem Jazz und Blues. Und den Verlockungen des Nachtlebens.

Die Sequenz stammt aus Hansjürgen Pohlands Film „Tobby“ von 1961, es ist eine für den Film charakteristische Episode. Regisseur Pohland wählte in seinem Langfilmdebüt immer mal wieder die Perspektive von oben, um auf das Milieu zu blicken, das er beschreibt. Olympische Position würde man in der Literatur dazu sagen.

„Tobby“ ist ein experimenteller Film über den Berliner Jazzmusiker Toby Fichelscher, der sich selbst spielt – einen Bohemien, wie er im Buche steht. Die Produktion ist ein frühes Zeugnis des Neuen Deutschen Films: Er entsteht ein Jahr vor dem Oberhausener Manifest, das Pohland mit unterzeichnete. Als Standfotograf wirkte damals Will McBride, dessen Fotografien am Set den Geist dieser Zeit so gut wiedergeben wie der Film selbst.

Seit Kurzem liegt eine restaurierte Fassung von „Tobby“ vor. Dank ihr kann man diesen Film wiederentdecken, der ein Musiker- und Genreporträt, aber auch ein Dokument Berlins kurz vor dem Mauerbau ist und das latente Brodeln der frühen Sechziger einfängt. Am Dienstag bietet sich im Rahmen der Retrospektive für den Kameramann Wolf Wirth im Zeughauskino die Chance, die digitalisierte Fassung zu sehen – denn Wirth stand bei „Tobby“, wie auch bei einigen anderen Filmen Poh­lands, hinter der Kamera.

Die Story ist recht simpel: Tobby ist ein Sänger und Bongo-Spieler, ein Jazzer durch und durch. Er hat wenig Geld, aber zwei Söhne zu ernähren – und bekommt das Angebot, im Ausland zu touren. Allerdings müsste er auf der Tour seichteren Jazz spielen. Ein klassischer Konflikt: Geld versus Künstlerethos.

Die Stärke des Films liegt in seiner Erzählweise, die deutlich von der Nouvelle Vague beeinflusst ist. Einerseits arbeitet Pohland mit dem eingangs erwähnten Draufblick, andererseits ist es ein Film der Detailaufnahmen. Die Close-ups von Fichelscher – wie er im Scat-Gesang döpdidudelt, wie er den Zigarettenrauch auspustet – ziehen den Zuschauer direkt in die Musikszene und die linksintellektuellen Zirkel jener Zeit hinein.

Der bevorstehende gesellschaftliche Aufbruch ist omnipräsent, die Sehnsucht nach einer freieren Sexualität ist spürbar, auch wenn für heutige Verhältnisse wenig nackte Haut zu sehen ist. Die wenigen Szenen reichten auch aus, um Anstoß zu erregen: Ein Foto McBrides für die Kinoaushänge etwa wurde damals von der FSK zensiert. Es sei nicht gut für die Jugend, könne „sexuell stimulierend“ wirken.

Stimulierend ist dieser Film tatsächlich auch 57 Jahre nach seiner Entstehung noch – er macht Lust auf Jazz, auf Jazzgeschichte, aufs Ausgehen und Tanzen. Denn so unähnlich, so stellt man fest, ist der Hedonismus jener Zeit dem heutigen gar nicht. Nur, dass heute weniger geraucht wird.

„Tobby“, BRD 1961, R/B: Hansjürgen Pohland. D: Tobias „Tobby“ Fichelscher u. a., Zeughauskino, 30.10., 20 Uhr

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