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Diversitäts-Agentin über ihren Job„Diversität muss normal werden“

Leyla Ercan setzt sich als Agentin für Diversität am Staatstheater Hannover für die interkulturelle Öffnung des Hauses ein.

Ist aber überzeugt, dass Vielfalt bereichert: Leyla Ercan Foto: Christian Wyrwa
Interview von Nina Hoffmann

taz: Frau Ercan, Sie sind Agentin für Diversität am Staatstheater Hannover, ihre Stelle finanziert das Projekt des Bundes „360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“. In welcher neuen Stadtgesellschaft möchten Sie mal leben?

Leyla Ercan: Ich lebe tatsächlich schon in ihr. Ich wohne im Stadtteil Linden-Nord in Hannover – ein unglaublich diverser Stadtteil. Das merke ich auch gerade an einem aktuellen Projekt. Eigentlich bin ich ja Agentin für Diversität und überwiegend an der Personal- und Organisationsentwicklung beteiligt. Aber ich versuche mir auch Einblicke in konkrete partizipatorische Kulturarbeit zu verschaffen.

Um welches Projekt geht es?

Ich habe mich bei einem Projekt von Julia Wissert eingeklinkt. Sie ist eine Regisseurin, die sehr partizipatorisch arbeitet. In diesem Zusammenhang probiere ich mich an einem kleinen Kunstprojekt aus, im Rahmen der „Universen“-Reihe. Ich setze mich dabei am Beispiel der Kunstkacheln von Olf Lupin intensiv mit meinem Stadtteil auseinander. Kennen Sie Olf Lupin?

Noch nie gehört.

Das ist ein Künstlerduo, das lange Zeit anonym agiert hat. Vor zehn oder fünfzehn Jahren haben sie angefangen, Kacheln mit Motiven, Bildern, Geschichten zu bemalen. Und die haben sie im Stadtteil an zentralen Orten angebracht. In Linden-Nord gibt es ganze Ensembles dieser Kunstkacheln. Und die laufe ich ab, unterhalte mich mit An­wohner*innen über die Kunst und weshalb sie dort leben, wo sie eben leben. Dabei merke ich, wie heterogen der Stadtteil ist. Ich finde es faszinierend, wie unterschiedlichste Menschen miteinander kommunizieren, Feste feiern, Kultur schaffen. Das ist meine Vision. Dass wir wirklich miteinander leben. Nicht nebeneinander her, sondern miteinander mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, Identitäten und Facetten des Lebens.

Wieso liegt Ihnen das Thema Diversität am Herzen?

Diversität kann, wenn sie wirklich konstruktiv gelebt wird, sehr bereichern. Dafür braucht es ein aktives Engagement. Man muss sich drauf einlassen und für neue Perspektiven aufgeschlossen sein. Aufgeschlossen für Menschen, die andere Hintergründe haben, andere Identitäten. Dadurch kann viel Neues entstehen. Daran glaube ich wirklich. Weil ich selber auch ein sehr diverses Umfeld habe und merke, wie sehr mich das bereichert. Als Mensch – aber auch intellektuell.

Im Interview: Leyla Ercan

47, ist seit August 2019 Agentin für Diversität am Niedersächsischen Staatstheater Hannover.

Ercan ist Kultur- und Literaturwissenschaftlerin und Sozialpsychologin und lehrt „Diversity Management“ an der Uni Göttingen.

In der Gedenkstätte Bergen-Belsen machte sie unter anderem Projekte zu „Entrechtung“ sowie zu Antiziganismus.

Seit 2019 ist sie Mitglied des Flüchtlingsrates Niedersachsen.

Inwiefern?Also, ich bin in einem sehr ethnokulturellen Kontext unterwegs. Meine eigene Familie und mein Freundeskreis ist sehr ethnodivers. Wir haben deutsche Menschen in der Familie, schwarze Menschen, beeinträchtigte Menschen, Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensführungen. Das macht es natürlich manchmal schwierig, wenn die unterschiedlichen Formen zu leben aufeinandertreffen. Aber gleichzeitig ist das auch spannend, weil man sich in viele Perspektiven hineinversetzen und sich so eine Flexibilität des Geistes aneignen kann.

Sie sind Mitglied im Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V. und haben an Projekten, u. a. an der Gedenkstätte Bergen-Belsen mitgewirkt. Haben Sie Druck von rechts erlebt?

Ich habe im Vorfeld zu diesem Interview erneut darüber nachgedacht. Ich kenne Kolleg*innen aus dem 360°-Programm, die nach einem Interview und einer medialen Darstellung sehr böse Mails bekommen haben. Darüber habe ich mir sehr lange Gedanken gemacht, ob ich dieses Interviews machen möchte. Ich kenne das Problem aber natürlich auch bereits von meiner Arbeit in Bergen-Belsen.

Das Interview hat Ihnen wegen rechter Hetze Sorge bereitet?

Diese Sorge habe ich ganz oft. In Bergen-Belsen haben wir deshalb lange Zeit keine Namen und keine Bilder von uns auf der Projektwebsite gehabt – sonst flattern Drohungen ins Haus. Auch beim Flüchtlingsrat wurde lange Zeit vermieden, Namen auf die Homepage zu setzen, weil wir Morddrohungen bekommen haben. Ich habe schon oft Anzeige gegen Unbekannt stellen müssen.

Wie gehen Sie damit um?

Die Sorge bleibt. Das Thema Diversität ist für mich positiv konnotiert. Aber ich weiß, dass es Gruppierungen gibt, für die das Thema ein rotes Tuch ist. Ohne dass die genau wissen, warum oder was der Diversitätsansatz genau umfasst. Viel Hass resultiert aus Unkenntnis. Ich weiß um diese Diskurse und die Konsequenzen für mich.

Sie entscheiden sich trotzdem für den Einsatz für Diversität.

Weil ich finde, dass sich Diversität normalisieren muss. Es darf nicht negativ konnotiert bleiben. Das Thema braucht Gesichter und konkrete Bekenntnisse. Also wenn das Staatstheater sagt: „Wir bekennen uns dazu“, dann hat das eine Symbolwirkung und die wirkt sich gesamtgesellschaftlich aus.

Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, das Staatstheater bei diesem Bekenntnis zu unterstützen?

Ich wusste, dass die Stelle ausgeschrieben wird. Über die Kulturstiftung kenne ich sehr viele Menschen, die schon in der ersten Förderrunde dabei waren. Ich wusste über das Programm und habe mich auch an diversen anderen Einrichtungen beworben, weil ich dieses Programm einfach sehr spannend finde.

Könnte ein heterosexueller Mann ohne Migrationshintergrund mittleren Alters Ihrer Stelle so gerecht werden wie Sie?

Ich kenne Männer, die das könnten, die unglaublich sensibilisiert sind für solche Themen und sich mit den Perspektiven und gesellschaftlichen Positionierungen marginalisierter Gruppen beschäftigt haben. Aber ich denke auch, dass man in irgendeiner Weise von Benachteiligung betroffen sein muss, um überhaupt den Impuls zu haben, sich damit zu beschäftigen. Es gibt eine Betroffenheit jenseits der sogenannten cis-Heteronormativität und des Weißseins – etwa durch Mobbing in der Jugend. Ich habe viele weiße, heterosexuelle Männer als Verbündete.

Themensprung: Wie hängen Diversität und Theater zusammen?

Auf der Bühne kann die Gesellschaft abgebildet werden, das bietet sehr viele Möglichkeiten. Dieser Raum zur Darstellung sollte stärker diversen Themen zugänglich gemacht werden. Ich finde, wir haben mit unseren neuen Intendantinnen Sonja Anders und Laura Berman und den neuen Ensembles ein unglaublich diverses Programm geschaffen. Viel diverser als vorher. Das ist auch experimentell sehr spannend zu sehen: Was macht diese Veränderung mit uns als Kulturbetrieb? Ich kenne das Staatstheater noch aus den Neunzigern: Heinrich von Kleist und Goethe – und das war's.

Viele Theaterklassiker wurden im Geist heteronormativer Männlichkeit geschaffen. Müssen die Klassiker jetzt verbannt werden?

Gar nicht. Man kann die ja tatsächlich neu interpretieren. Haben Sie das Stück „Platonowa“ unter der Regie von Stephan Kimmig gesehen?

Bisher nicht.

Ich fand das grandios. „Platonow“ ist ein Stück von Tschechow. Im Zentrum der Handlung stehen klassische Figuren: Eine Dorfgesellschaft, ein Dorflehrer und junge Frauen, die in ihn verliebt sind. Eine typische heteronormative Erzählung, in der alles sehr statisch wirkt, weil die Figuren in bestimmten Projektionen von Leben, Mensch, Liebe stecken. Sie sind in ihren Wünschen und Vorstellungen gefangen. Und wir haben das hier auf der Bühne ganz neu gelesen und adaptiert. Eben nicht heteronormativ wie Tschechow. Die Figur Platonow wird zu einer lesbischen, jungen Lehrerin, Platonowa.

Was kann ein utopisches diverses Theater bewirken?

Die Normalisierung von Diversität, also abweichende Lebensstile und -entwürfe, die anders verlaufen und oftmals nicht als gelungene Leben wahrgenommen werden. So wird Spielraum für das Anderssein zugelassen. Das befreit uns ja alle. So sein zu dürfen, wie man ist und trotzdem ein Teil des Ganzen zu sein. Das ist, denke ich, ein universeller Traum jedes Menschen.

Ihre Stelle ist bis 2023 geplant. Struktureller Rassismus und patriarchale Strukturen haben sich seit hunderten Jahren in Kulturbetrieben verfestigt. Ist es nicht anmaßend, Diversität als Projektarbeit anzulegen?

Das betrifft ganz viele Bereiche. Auch Frauenförderung wird oft als Projektarbeit angelegt. Aber Frauen sind keine Projekte. Frauen wird es auch weiterhin geben. Deshalb müsste man strukturell finanzieren. Ich glaube, die Kulturstiftung des Bundes stellt sich das systemisch vor: Man bringt eine Kugel ins Rollen und verlässt sich darauf, dass die weiterläuft.

Was nehmen Sie sich für die nächsten vier Jahre vor?

Wir legen den Fokus auf das Personal. Unsere Intendantinnen sind sich des Themas Diversität schon sehr bewusst. Beim Personal müssen wir uns selbst erst einmal klar werden, was wir erreichen wollen. Ich würde gerne Leitungsebenen und Schlüsselfiguren mit unbefristeten Arbeitsstellen sensibilisieren, die das Thema weitertragen, als Multiplikator*innen – auch wenn ich nicht mehr da bin.

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