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Distinguiert waidwundes Unwohlsein

■ Die Gourmets von Tindersticks mit Drugstore und Zweireiher auf Zeitreise

Ein verwehter Mann auf der anderen Seite von Techno. Stuart Staples sitzt leise in einer winzigen, mit Seemannskram vollgehangenen Kammer eines alten Hamburger Hotels. Wer zu ihm in dieses Refugium tritt, wird von Zeitlosigkeit erschlagen. Auch den Gefühlskalten unter uns dürfte spätestens dann die Routine schwerfallen, wenn sie in Staples Gesicht schauen. Eine Kombination von Distinguiertheit, waidwundem Unwohlsein und übernächtigter Entrücktheit, die sich in weit offenen Augen und stetig zwischen Wissen und Unsicherheit oszillierendem Lächeln manifestiert. Natürlich trägt er leicht angestoßene, nichtsdestotrotz Noblesse verströmende Anzüge und trinkt Kaffee und Tee. Warum natürlich? Nun, wer das 93er Debüt der Tindersticks in all seiner kammermusikalischen Melancholie noch für einen geschickt inszenierten Marketing-Schachzug hielt, wurde, wenn nicht vom ersten Gastspiel, so von der vor kurzem erschienenen zweiten Platte belehrt. Ja, die meinen das ernst mit dem Geflüster und den „moll-odiösen“ Hilfeschreien Richtung letztes Jahrhundert.

Verständlicherweise sträubt sich Staples gegen allzu präzise Analysen dieser Ästhetik. Am deutlichsten zeigt sich das in seiner Einstellung zum Text. Songtexte gehören in das Stück und nicht ins Booklet. Es geht um die Stimmung, nicht um das Verstehen. In Weiterführung dieses Prinzips werden Stücke mit spanischen oder deutschen Titeln versehen, um sie dem (eigenen) stimmungstötenden Verständnis zu entziehen. In musikalischer Weiterführung dieses Prinzips treten die Londoner nicht allzu häufig auf, um die eigene Berauschtheit am Spiel nicht zu verlieren. It's a kind of magic, wie der Unsterbliche zu sagen pflegt.

Der massiven Popularität dieses melodischen Anachronismus auf die Spur zu kommen fällt nicht schwer. Denn die Tindersticks machen sie wieder auf, die lange Zeit unter lästigen politischen Notwendigkeiten vergrabene Achse Süd-england-Wien-Provence-Zweireiher-Chardonnay-Havanna, auf deren offizielle, von reaktionären Zuschreibungen befreite Rehabilitation die halbe sich als links empfindende und Techno latent mißtrauende Männlichkeit leidend wartet. Nein, das Wort reaktionär ist trotzdem nicht angebracht.

Uschi Steiner

21. Mai, Markthalle, 21 Uhr

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