Das Portrait: Dissidenter Dirigent
■ Mstislaw Rostropowitsch
1991 hatte er sein Cello zu Hause vergessen. Als am 22. August nach dem gescheiterten Militärputsch gegen Gorbatschow hunderttausende Russen in Moskau für mehr Freiheit auf die Straße gingen, war auch Mstislaw Rostropowitsch unter den Demonstranten. Immerhin hatte der Cellist schon im November 1989 an der Berliner Mauer gespielt – ein Solo auf den Wendeherbst. In Moskau kam dem instrumentlosen Musiker dann eine Idee, die zum russischen Umgang mit Ikonen passte: Als am 23. August die Statue von Feliks Edmundowitsch Dzierzynski, dem ersten Leiter des KGB-Vorläufers Tscheka, beseitigt wurde, schlug Rostropowitsch vor, ein Denkmal für Alexander Solschenizyn auf dem leeren Sockel zu errichten.
Solo an der Mauer: Der russische Cellist Mstislaw Rostropowitsch Foto: AP
Dieser Wunsch ist eng an seine eigene Biografie geknüpft. Die Karriere des heute 72jährigen Cellisten und Dirigenten war in der Sowjetunion in den Siebzigerjahren beendet, als er Solschenizyn Unterkunft gewährte. Dabei geschah dies keineswegs aus „Überzeugung“, sondern aus Mitleid angesichts der beengten Wohnverhältnisse der Solschenizyns, während Rostropowitsch selbst ein großzügiges Landhaus bewohnte.
Unversehens sah sich der Musiker als Dirigent ohne Orchester wieder: Am Bolschoitheater dürfe er erst wieder dirigieren, wenn er einen Protestbrief gegen Sacharow unterschriebe. Statt dessen schrieb Rostropowitsch einen offenen Brief, in dem er die mangelnde Meinungsfreiheit anprangerte. 1978 durfte er noch zu einer Tournee ausreisen – mit nachfolgender Aberkennung der Staatsbürgerschaft. Rostropowitsch ging ins Exil, nach Paris und Washington, wo er die Leitung des National Symphony Orchestra übernahm. Erst 1990 wurde ihm die russische Staatsbürgerschaft wieder zuerkannt, Boris Jelzin zeichnete ihn für sein Engagement während der Augusttage mit der Medaille „Verteidiger der Freiheit Russlands“ aus; 1993 durfte er endlich mit den Washingtoner Sinfonikern ein Konzert auf dem Roten Platz geben.
Rostropowitsch kam in Baku zur Welt und nahm den ersten Cellounterricht bei seinem Vater, einem Schüler von Pablo Casals. Später ging er nach Moskau, wo er Komposition bei Schostakowitsch studierte. Seine Vorliebe gilt Messiaen, sein Stil – als Dirigent und Cellist – ist eher unprätentiös. Für die Feierlichkeiten zum 9. November dachte sich der Musiker aber doch etwas Außergewöhnliches aus: Statt Solo wie vor zehn Jahren trat er mit 160 jungen Cellisten in Berlin auf. Klaus Möwes
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