Diskussion zum Verkehr: Willkommen im Wahlkampf
Bei einer Podiumsdiskussion zum Zustand der Straßen überbieten sich die Parteienvertreter mit inhaltslosen Plattitüden - und stellen fest: Schuld ist "die Bildung".
Um die Berliner Straßen ist es ähnlich bestellt wie um die öffentlichen Kassen: Es sieht ganz, ganz schlecht aus. Letztere sind bekanntlich leer. Erstere sind durchlöchert und stehen vor dem "endgültigen Kollaps" - jedenfalls wenn man dem Geologen Bernd Dudenhöfer glaubt. Dudenhöfer ist Vizevorsitzender der Vereinigung der Straßenbau- und Verkehrsingenieure Berlin-Brandenburg. In dieser Funktion redete er am Mittwoch den Vertretern der fünf im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien ins Gewissen: Damit die Infrastruktur nicht völlig zusammenbricht, müssten 250 Millionen Euro pro Jahr ins Straßensystem investiert werden - dreimal so viel wie derzeit, sagte Dudenhöfer bei einer Diskussion in der Humboldt-Box.
Die Parteienvertreter, mit einer Ausnahme allesamt Männer, nickten dazu artig und einig. Die Schlaglochpisten sind ein Übel für sämtliche Bevölkerungsgruppen, dazu müssen die Politiker nicht einmal Klientelpolitik betreiben. "Man muss für eine vernünftige Infrastruktur sorgen", sagte etwa Christian Gaebler von der SPD. FDP-Experte Christoph Meyer sprach von der Notwendigkeit einer "Baubeschleunigung", der CDU-Abgeordnete Oliver Scholz wollte das "Baumanagement" verbessern. Die Grüne Claudia Hämmerling machte darauf aufmerksam, dass alle Verkehrsteilnehmer unter dem Defizit litten. Zur Bekräftigung erzählte sie gleich hinterher, dass sie am Vortag mit dem Fahrrad in ein Schlagloch hineingefahren sei. Hineingefahren! Das Loch muss eine gewisse Größe gehabt haben.
Wahlkämpfer indes versprechen sich ja inzwischen am meisten Imagegewinn, wenn sie so tun, als seien sie ehrlich. Dafür haben sie sich für die kommenden Wochen parteiübergreifend ein paar Standardsätze zurechtgelegt, die sie vor den etwa 50 Zuhörern in der Humboldt-Box übten: "Wir können das Geld nicht drucken" (Hämmerling/Scholz), "Wir müssen Prioritäten setzen" (Gaebler, in Abwandlung auch Uwe Doering von der Linken), "Es ist unseriös, Zahlen zu nennen" (Doering, Scholz und Hämmerling in Quintessenz).
Zwei Stunden lang redeten die Wahlkämpfenden auf Einladung des ADAC also darüber, wie viele Millionen es bräuchte, um die Straßen der Stadt zu retten. Zudem zu beobachten: Dort, wo es an interparteilichen Feindbildern fehlt (keiner hat Geld, alle wollen Straßen sanieren), werden fachliche Feindbilder aufgebaut. Im Fall der Verkehrspolitik ist es "die Bildung". So bemerkte Gaebler, Bezirke retteten im Zweifelsfall lieber Jugendclubs, anstatt ihre Straße auszubauen. Seine Mitdiskutanten verwiesen mehrfach darauf, dass in den vergangenen Jahren vor allem für Bildung Geld da gewesen sei, zulasten der Straße. Von Gaebler kam auch der Satz: "Den Bezirken ist das Hemd häufig näher als die Straße."
Gern hätte das Publikum erfahren, was die Politiker denn mit vorhandenen Mitteln zu tun gedenken. Leider verfehlte es Moderatorin Petra Schwarz, einen Impuls in Richtung inhaltliche Diskussion zu geben. Dafür schnappte sie sich das letzte Brötchen vom Buffet.
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