Diskussion über Zukunft des Kotti: Nachts wird richtig abkassiert
Schlimm, schlimmer, Kotti? Die Lage an dem berühmt-berüchtigten Ort in Kreuzberg eskaliere, sagen Anwohner. Andere sehen keinen Grund zur Panik.
Bei Podiumsdiskussionen in Kreuzberg weiß man nie, wie sie ausgehen. Werden die geladenen Gäste ausgepfiffen, weil sie Dinge sagen, die Teilen des Publikums nicht ins Weltbild passen? Eine Minderheit, die auf diese Weise im Saal den Ton angibt, genügt, um eine Veranstaltung zu sprengen. Auch Bürgerversammlungen über den Görlitzer Park haben so das eine oder andere vorschnelle Ende gefunden. „Kippt der Kotti?“ lautete der Titel der Podiumsdiskussion, die am Donnerstagabend im Museum Kreuzberg stattfand. Der Saal unter dem Dach war brechend voll.
Kreuzberg hat ein neues Problem – oder auch keines, das hängt von der Sichtweise ab. Fast alle Positionen wurden vertreten. Es gab Zwischenrufe und Störversuche von Leuten, die andere Meinungen als ihre partout nicht tolerierten. Aber diesmal war diese Gruppe so klein, dass die Veranstaltung ein reguläres Ende fand. Was durchaus bemerkenswert ist.
Das Kottbusser Tor war noch nie ein Ort für Zartbesaitete. Über der Adalbertstraße türmt sich das Neue Kreuzberger Zentrum, ein seelenloser Betonbau aus den 70er Jahren mit über 1.000 Wohneinheiten. Auf dem Platz davor treffen sich Jahrzehnten Junkies und Obdachlose. Es wird gedealt, die Hausecken stinken nach Urin, weil es keine öffentlichen Klos gibt. Nachts wird der Kiez von Touristen und Partyvolk überschwemmt. Es kommt mit der U-Bahn und steuert die umliegenden Kneipen und Bars an. Im Kaiser’s-Supermarkt, der bis Mitternacht offen hat, wird vorher noch ordentlich Alkohol eingekauft. Der Ansturm ist so groß, dass nachts alle fünf Kassen offen sind.
Kein Wunder also, dass sich auch Diebe und Räuber angezogen fühlen. Seit 2015 wird rund um den Kotti eine neue Form der Bandenkriminalität verzeichnet. Wie am RAW-Gelände in Friedrichshain umkreisen mehrere Täter ihr Opfer, tanzen es an, Frauen werden dabei auch begrabscht. Besonders im Visier sind Betrunkene. „Die Straßenkriminalität hat enorm zugenommen“, bestätigte Tanja Knapp, Leiterin des Polizeiabschnitts 53, bei der Diskussion.
Die Strategie der Polizei beschrieb sie so: vermehrte Präsenz in Uniform, Einsatz von Zivilbeamten mit dem Ziel von Festnahmen, Prävention in Zusammenarbeit mit der Wohnungsbaugesellschaft, Sicherheitsdiensten und Anwohnern. „Wir versuchen, Ihre Ideen aufzunehmen“, wandte sich Knapp an das Publikum.
Große Polizeieinsätze brächten nichts, kritisierte Richard Stein von der Kneipe Möbel Olfe. Da würden die Falschen an die Wand gestellt. Unlängst seien „drei Nachbarjungs“ festgehalten worden. „Lieber sind mir da die Kontaktbereichsbeamten vom Abschnitt 53“, so Stein. Eine Mischung aus Polizei und begleitender Sozialarbeit hält er für das beste Konzept. Der Sicherheit wegen begleitet das Personal der Kneipe betrunkene Gäste zur U-Bahn oder lasse sie aus der Hintertür raus.
Im Publikum gab es Stimmen, laut denen die Situation nicht schlimmer geworden sei. Als Migrationsforscher Mark Terkessides dies dementierte, wurde ihm „Hetze“ gegen Flüchtlinge unterstellt. Ein türkischer Gemüsehändler konterte mit Blick auf die Diebe erregt: „Das sind keine Flüchtlinge, das sind Kriminelle.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung