Diskussion über NS-Raubkunst: Moral oder Gesetz?
Noch immer zögerlich: Eine Tagung über die Rückgabe von NS-Raubkunst aus Deutschland zog Bilanz.
Wie kann jüdischen Eigentümern, denen im Zuge der nationalsozialistischen Verbrechen Kunstgegenstände geraubt und abgepresst wurden, Gerechtigkeit widerfahren? Als sich die Holocaust-Konferenz in Washington 1998 auf elf Grundsätze zum Umgang mit NS-Raubkunst einigte, schien nach schier endlosen Debatten endlich ein Durchbruch in dieser Frage gelungen. 44 Staaten und 13 NGOs hatten sich in den Washingtoner Prinzipien darauf verständigt, die Eigentümer oder deren Erben ausfindig zu machen und nach "fairen und gerechten Lösungen" zu suchen. Zehn Jahre später, so das Ergebnis einer internationalen Fachtagung in Berlin, fällt die Bilanz ernüchternd aus. "Verantwortung wahrnehmen" - schon dieser Titel der von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) ausgerichteten Veranstaltung war als Aufforderung zu verstehen.
Zwar ist international und auch in der Bundesrepublik eine Vielzahl von Restitutionen in Gang gekommen. Viele Institutionen unterschiedlicher Träger aber unterlassen es noch immer, die Herkunft zweifelhafter Bestände zu klären, Anspruchstellern Akten zugänglich zu machen oder geraubte Kunst herauszugeben. In Deutschland richtete der Bund erst vor einem Jahr eine mit einer Million Euro Jahresetat ausgestattete Arbeitsstelle für Provenienzrecherche ein, deren Mittel nur zögerlich abgerufen werden. "Wer sich jetzt mit dem Vorwand fehlender Mittel der Suche nach Raubkunst in seinen Beständen entzieht", erklärte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) in seinem Grußwort, müsse sich "Fragen nach seinem moralischen Verantwortungsbewusstsein gefallen lassen".
Damit war das zentrale Diskussionsfeld der Tagung eröffnet. Denn während Befürworter der gegenwärtigen Regelung auf politischen Druck und eine "moralische Bindungskraft" der Washingtoner Prinzipien setzen, wie es SPK-Präsident Hermann Parzinger formulierte, machte die andere Seite als Hauptproblem deren fehlende rechtliche Verbindlichkeit aus. Die Prinzipien wie die "Handreichung" zu deren Umsetzung in Deutschland basieren auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit und sind nicht vor Gerichten einklagbar, betonte Georg Crezelius, Steuerrechtler an der Uni Bamberg. Nur ein Gesetz könne verhindern, dass man "statt Entscheidungen von Gerichten weiterhin Leserbriefe" wie im Streit um die Rückgabe von Kirchners "Berliner Straßenszene" 2006 lesen müsse. Damals hatte es eine Welle der Entrüstung über die jüdischen Eigentümer und deren Anwälte gegeben.
Jutta Limbach, frühere Verfassungsrichterin und Vorsitzende der "Beratenden Kommission", die in Deutschland Streitfälle zur NS-Raubkunst schlichtet, hob hingegen den durchaus bindenden Charakter für öffentliche Einrichtungen hervor. Auch in der Frage, ob ihre Kommission weiterhin nur im Einvernehmen beider Seiten angerufen werden könne, verteidigte sie den Status quo, räumte aber ein, die Zahl der behandelten Fälle sei im internationalen Vergleich "kläglich". In sieben Jahren beriet die Limbach-Kommission ganze drei Fälle. In Frankreich, wo eine Streitpartei ausreicht, entschied eine ähnliche Kommission über mehr als 25.000 Anträge.
Während Kritiker wie Georg Heuberger von der Jewish Claims Conference in diesem Zusammenhang von einem "Herr im Haus"-Standpunkt sprechen, dem gemäß Museumsdirektoren und deren Träger in Deutschland häufig ohne unabhängigen Schiedsspruch entschieden, vertrat Limbach die Auffassung, der französische Ansatz sei nicht übertragbar. Ihre lapidare Begründung: Aus der Arbeit am Bundesverfassungsgericht wisse sie, dass eine Vielzahl unberechtigter Forderungen auf die dann personell überforderte Kommission zukäme.
Dennoch scheint auch bei Plädoyers für eine gesetzliche Regelung Skepsis angebracht. Der Berliner Anwalt und Museumslobbyist Peter Raue etwa argumentierte für ein Kulturrückgabegesetz mit der gefährlichen Begründung, die gegenwärtige Praxis sei mit rechtstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar. Dem widersprach Isabel Pfeiffer-Poensgen, Kulturstiftung der Länder: Keineswegs bewege man sich mit Restitutionen in rechtsfreiem Raum. Und Claims-Conference-Vertreter Heuberger befürchtete, eine langwierige Gesetzesdebatte könnte als Vorwand dienen, sich aufseiten der Museen zurückzulehnen, so dass gar nichts mehr passiere.
Es sei alles gesagt, "lasst uns anfangen, intensiv zu arbeiten", resümierte Martin Roth, Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, für deren Provenienzrecherchen der Freistaat Sachsen 15 Millionen Euro bereit gestellt hat - bislang einzigartig in der Bundesrepublik. Jene Museen, die sich noch immer sperren, dürfte Roths Forderung allerdings kaum beeindrucken. Sie blieben auch dieser Tagung einmal mehr fern.
ROBERT SCHRÖPFER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!