Disco für Gehörlose: Der Bass machts
Der Beat stampft, die Tanzfläche vibriert, Am Samstag fand in Treptow die erste organisierte Gehörlosenparty Deutschlands statt.
Die Hände von Signmark formen ein Zeichen nach dem anderen. Seine Lippen bewegen sich, doch zu hören ist nichts. Für Außenstehende sieht es aus, als flatterten nur seine Finger hin und her. Doch jede Bewegung bedeutet etwas: Signmark rappt in Gebärdensprache. Viele Leute im Publikums sind taub oder schwerhörig. Sie können die Musik nicht hören, nur fühlen. Samstagnacht trat der finnische HipHop-Künstler auf der Sencity-Party auf, einem Fest für Gehörlose und Hörende im Glashaus der Treptower Arena.
Die Party unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von anderen: Das Publikum ist meist zwischen 20 und 30 Jahre alt, es wird getanzt, gelacht, getrunken. Erst nach und nach fallen die ausladenden Gesten der Besucher auf. Ebenso die Hörgeräte, die hinter vielen Ohren klemmen. Irritierend ist auch die Ruhe vor der Bar. Kaum Stimmengewirr, obwohl das Glashaus der Arena bereits um halb zehn Uhr abends gut gefüllt ist. Die Gäste stehen mit einem Meter Abstand zueinander und unterhalten sich in Gebärdensprache. Manchmal werden diese dreidimensionalen Gespräche unterbrochen, weil andere Gäste im Weg stehen. Sie werden dann behutsam beiseite geschoben.
"Die Durchmischung ist toll, sagt Steffi Kuhlmann. Die Sozialpädagogin im Pünktchenkleid betreut eine WG mit gehörlosen und mehrfach behinderten Mitbewohnern. Sonst bleibe den WG-Mitgliedern in Berlin immer nur die Lebenshilfe-Disco. Da sei man aber nur unter sich. "Das hier ist eine ganze neue Erfahrung für sie", sagt die Pädagogin.
Insgesamt sind um die 700 Gäste gekommen, der Anteil von Gehörlosen und Hörenden scheint ausgeglichen. Das genaue Verhältnis ist kaum auszumachen: Viele Hörende kommunizieren hier in der Gebärdensprache. Die meisten Hörenden auf der Fete haben einen direkten Bezug zur Gehörlosengemeinschaft. Viele studieren Gebärdensprache, dolmetschen oder arbeiten als Pädagogen in diesem Bereich. Einige Besucher sind jedoch einfach aus Neugier gekommen, wie Katja: "Mich hat interessiert, wie Gehörlose feiern, außerdem wurde auf den Plakaten versprochen, dass ich hier Musik mit allen Sinnen erleben kann." Dafür hat die Studentin 16 Euro Eintritt gezahlt.
Nach Schätzungen des Gehörlosenbunds gibt es in Deutschland insgesamt rund 80.000 Gehörlose. Die Angebote im Alltag sind für sie beschränkt. "Einfach so in den Club, ins Theater oder ins Kino gehen, das können sie nicht", sagt Leslie Otto. Sie studiert Event-Management im niederländischen Breda und hat die Party mit einem Team aus Gehörlosen und Hörenden organisiert. Das Konzept von Sencity kommt aus den Niederlanden. Die Partyreihe wird inzwischen aber weltweit organisiert. Die letzten Stationen waren Südafrika, Finnland und Brasilien. Hauptziel des Abends: Gehörlose und Hörende zusammenbringen.
Aus Sicht des Münchners Andreas Sailer könnte das gelingen. Die Gehörlosen würden zwar noch etwas unter sich bleiben, aber er ist optimistisch: "Wir kommen heute sicher noch mit Hörenden ins Gespräch, selbst wenn die keine Gebärdensprache können", sagte er. Auch die Veranstalter sind zufrieden mit der deutschen Premiere: Geht es nach ihnen, war dieser Abend der Startschuss für weitere Gehörlosenpartys in Deutschland und Berlin.
Es ist jetzt halb eins, der Bass wummert jetzt überall - egal ob Ska, Techno oder Soul gespielt wird. Der Boden, die Wand, selbst die Ledercouch im Barbereich schwingt sachte mit. Dabei ist die Musik nicht außergewöhnlich laut. Die Party steht unter dem Motto "Zirkus der Sinne", die Musik soll gefühlt, gerochen, geschmeckt und gehört werden. Mottogetreu stolpern Clowns auf Stelzen über die Tanzfläche, die Veranstalter lassen Popcorn und Lollis verteilen. Masseure und Frisöre bieten im Foyer kostenlos ihre Dienste an. Bis ein Uhr bilden sich dort lange Schlangen.
Doch die Hauptattraktion ist eine vibrierende Tanzfläche. Sie misst ungefähr fünf mal fünf Meter und schwingt, weil Sensoren die Musik direkt auf die Fläche übertragen. Hin und wieder stellen sich Hörende prüfend auf den Boden. Der Beat hämmert unnachgiebig, die Farbe der Tanzfläche ändert sich jede Sekunde.
An der Seite ist das Pult des Aromajockeys. Er legt keine Musik auf, sondern Düfte. Vor ihm stehen zwei große Ventilatoren. In zwei Schüsseln, die auf Kochplatten stehen, mischt er die Düfte zusammen. Um die 30 blaue Aromafläschchen hat er im Repertoire, der Raum riecht nach Orange, Vanille und etwas Süßlichem, das "Honey Flower" heißt.
Auf der Bühne verabschiedet sich der DJ, viele Besucher klatschen. Sie strecken beide Arme in die Luft und winken mit den Händen: Gehörlosenapplaus. In der Pause zwischen den Bands treten niederländische Gebärdensprachtänzer auf. Zu Dance-Musik von Cascada führen sie eine Choreografie auf. Sie tanzen und übersetzen die Songtexte in Gebärdensprache. Der Songtext ist jedoch nicht besonders kompliziert, eigentlich geht es die ganze Zeit nur ums Tanzen. Das Publikum, egal ob hörend oder taub, schaut sich die Übersetzung nicht besonders lange an. Es bewegt sich einfach mit.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!