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Dirty Old Man

Der 62jährige „Mr. Rhythm“ Andre Williams widmet sich beharrlich jungen Mädchen und großen Karren  ■ Von Lars Bulnheim

In einer besseren Welt mit einer besseren „Rock-n Roll Hall of Fame“ hätte Andre Williams einen Ehrenplatz. Seinen größten Wurf landete er 1962 mit den Five Du Tones für die er „Shake A Tail Feather“ schrieb, später verbraten in John Waters Hairspray und in Blues Brothers.

Zu Ruhm kam er erstmals 1957, als er für das kleine Detroiter Fortune-Label „Bacon Fat“ einspielte. Die Legende nach bestand das Aufnahmestudio dieses auf grobe und extrem billig klingende R&B-Knochenbrecher spezialisierten Labels nur aus einer Garage mit einem Taperecorder in der Mitte. Hier entstanden mehr gerappte als gesungene Glanzlichter der R&B-Ära wie „The Greasy Chicken“ oder „Jail Bait“, ein Streetrap, zwei Jahrzehnte bevor das Genre erfunden wurde. Klassischer Rhythm & Blues war nicht Williams Sache, das trauernde Element lag ihm schon immer fern. Statt dessen zeichnete ihn ein perverser Humor aus, der mit sexuellen Konnotationen spielt. Selbst begriff er sich nicht als Sänger, sondern ähnlich wie Rapper als Kommunikator.

Als Talent-Scout kam Williams schließlich zu Motown Records, bis er sich mit dem Chef Barry Gordy überwarf. Anfang der 60er Jahre kehrte er Detroit den Rücken. Er ging nach Chicago, um für Chess Records noch einige Platten aufzunehmen und feierte selbst noch einen Chartserfolg mit dem Coolness-Opus „Cadillac Jack“. Nebenbei war er als A&R-Mann für Mar-V-LusRecords tätig, hatte lokale Hits mit Alvin Cash und gründete eine eigene Plattenfirma. Nach drei erfolglosen Jahren verhalf er der Rhythm&Blues-Legende Bobby Bland aus Memphis wieder zu Charterfolgen. Schließlich fand er einen Geldgeber und baute sein eigenes Studio auf. Doch ein Hurricane vernichtete seinen Lebenstraum.

Wer nun glaubt, Mr. Williams sei nur ein Mann fürs Grobe, der irrt. In den 80er Jahren überredete Swamp Dogg, Andre Williams, eine Rap-Platte einzuspielen, ein Genre für das er allein wegen seiner explicit lyrics mehr getan hat als die Geschichtsbücher glauben machen. Sowohl kommerziell als auch musikalisch war sein Rap-Ausflug allerdings ein Desaster. Zuletzt hat er mit einem Teil der Gories die vielleicht beste R&B-Platte des lezten Jahres aufgenommen und wird seitdem heftig von Jon Spencer hofiert, bei dessen Tour er das Vorprogramm bestritt.

Bei seinem Solo-Auftritt im Molotow nun wird erneut der Schulterschluß zwischen R&B und Punkrock vollzogen. Denn begleitet wird der 62jährige Herr mit dem Currywurst-Schnurrbart von den Count Downs, einer Punkband aus Los Angeles. Wer also eine dieser abgeschmackten Greatest-Hits-Shows einer alten Legende erwartet, wird sich eines besseren belehren lassen müssen. Denn „Mr. Rhythm“ läßt es immer noch gewaltig krachen. Wenn der schmutzige alte Mann „Let Me Put It In“ zum besten gibt und seinen Dackelblick übers Publikum streifen läßt, wird auch dem Letzten klar, daß Alter nicht vor „four letter words“ schützt. Nach wie vor sind seine Lieblingsthemen blutjunge Mädchen und große Autos.

So, 11. April, 21 Uhr, Molotow

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