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Direkte DemokratieNiedersachsen plebiszitär hinter Bayern

Im Süden hat es in den letzten 15 Jahren entschieden mehr Bürgerentscheide gegeben als im Norden. Grund sind hohe Zustimmungsquoren und viele Tabu-Themen.

81 Prozent der Abstimmenden wollten, dass hier nicht aufwändig renoviert wird - doch das waren nicht genug: die Fußgängerzone Hamelns. Bild: dpa

HAMBURG taz | Niedersachsens BürgerInnen haben auf kommunaler Ebene weit weniger zu melden als die in Bayern. Das zeigt ein Vergleich des Vereins Mehr Demokratie 15 Jahre nach Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Niedersachsen. Demnach hat es in Bayern in dieser Zeit fast 14 Mal so viele Bürgerentscheide gegeben wie in Niedersachsen. Mehr Demokratie verlangt deshalb, die niedersächsischen Regeln müssten geändert werden. Die Opposition aus SPD, Grünen und der Linken sieht das ähnlich.

Wer in Niedersachsen ein Bürgerbegehren starten will, hat es nicht leicht: Zunächst muss er zehn Prozent seiner MitbürgerInnen überzeugen, sein Bürgerbegehren zu unterschreiben. Dann muss er hoffen, dass sein Anliegen zum begrenzten Kreis jener Themen zählt, über die abgestimmt werden darf. Und schließlich muss er 25 Prozent dazu bringen, zum Bürgerentscheid zu gehen und mit Ja zu stimmen. Hört sich nach wenig an, kann aber zu so absurd anmutenden Ergebnissen führen, wie beim Streit um die Sanierung der Fußgängerzone in Hameln: 81 Prozent der Abstimmenden votierten im Sinne des Bürgerbegehrens gegen das fünf Millionen Euro teure Vorhaben. Weil das aber weniger als 25 Prozent aller Abstimmungsberechtigten waren, wurde die Einkaufsstraße trotzdem hübsch gemacht.

Im Bundesländervergleich von Mehr Demokratie schlägt sich das so nieder: In Niedersachsen waren 44 Prozent aller Bürgerbegehren unzulässig - in Bayern 16 Prozent. In Niedersachsen mündete jedes dritte direktdemokratische Verfahren in einen Bürgerentscheid, in Bayern jedes zweite. In einer niedersächsischen Gemeinde findet im Schnitt alle 216 Jahre eine Abstimmung statt, in Bayern alle 32 Jahre. "In Niedersachsen ist der Bürgerentscheid ein Methusalem-Instrument", sagt Tim Weber vom Landesverband Mehr Demokratie. "Man muss schon sehr alt werden, um einen Bürgerentscheid zu erleben."

Mehr Demokratie verlangt, es müsse über mehr Themen abgestimmt werden dürfen, insbesondere planerischer Art. Es sei nicht einzusehen, warum eine Dorfgemeinschaft nicht über eine Biogasanlage abstimmen dürfe. Das Quorum für das Bürgerbegehren müsse auf unter zehn Prozent gesenkt werden und mit steigender Gemeindegröße sinken. Das Zustimmungsquorum von 25 Prozent sei zu streichen. Die Initiatoren sollten nicht mehr angeben müssen, wie ihre Vorschläge zu finanzieren seien. Die Politik sollte keine Entscheidungen gegen ein laufendes Bürgerbegehren treffen dürfen.

Abstimmen in Zahlen

Bürgerbegehren und Bürgerentscheide beziehen sich auf die kommunale Ebene, Volksbegehren und Volksentscheide auf die Landesebene. Die Abstimmungen auf kommunaler Ebene wurden vor 15 Jahren eingeführt.

230 Bürgerbegehren gab es in Niedersachsen. 102 wurden für unzulässig erklärt, 25 vom Gemeinderat übernommen, 18 nicht eingereicht und drei zurückgezogen. 71 mündeten in einen Bürgerentscheid.

In 31 Entscheiden setzte sich das Bürgerbegehren durch, 27 Mal scheiterte es am Zustimmungsquorum, 12 Mal wurde das Begehren überstimmt. Ein Fall wurde nicht rekonstruiert.

Einem Bürgerbegehren müssen zehn Prozent der Wahlberechtigten zustimmen.

Bei einem Bürgerentscheid braucht das zur Abstimmung stehende Begehren die Mehrheit der abgegebenen Stimmen und mindestens 25 Prozent aller Stimmen.

Mit der neuen niedersächsischen Kommunalverfassungsordnung, die am Dienstag in Kraft tritt, gibt es zwei kleine Verbesserungen: Die Leute werden über anstehende Bürgerentscheide benachrichtigt. Die Abstimmungslokale sollen wie bei Wahlen von zehn gibt bis 18 Uhr geöffnet sein. Bürgerbefragungen soll es auch in Ortsteilen geben können. Trotzdem hinke Niedersachsen der bundesweiten Entwicklung hinterher und liege im direktdemokratischen Vergleich mit Baden-Württemberg auf Rang 13, sagt Weber.

Er hält ein Mehr an direkter Demokratie für positiv. Das Argument, bei niedrigen Zustimmungsquoren, setzten sich besonders leicht Partikularinteressen durch, bewertet Weber als nicht plausibel. Auch in repräsentativen Gremien setzten sich bisweilen Partikularinteressen durch. "Eigentlich muss man die Frage stellen, ob das durch Bürgerentscheide häufiger geschieht", sagt er. Die empirische Forschung verneine das.

Der grüne Landtagsabgeordnete Helge Limburg glaubt, dass durch mehr Bürgerentscheide zwar nicht die Wahlbeteiligung steige, aber es wachse "das Ansehen der Politik und die Akzeptanz von Entscheidungen". Es sei wichtig, dass sich die Bürger auch zwischen Wahlen äußern können, sagt Pia Zimmermann von den Linken. Und SPD-Landeschef Olaf Lies betonte, auch er sei für eine Reform der bisherigen Regelungen.

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