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Dioxin: Matthiesen im Schleudern

Umweltminister legte lange geheimgehaltene Daten zum Dioxin-Fund in Dortmund vor / Oppositionsparteien: „viel zu spät gehandelt“ und „gewaltig geschludert“  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – Die Düsseldorfer Oppositionsparteien haben dem nordrhein-westfälischen Umweltminister Klaus Matthiesen gestern vorgeworfen, im Zusammenhang mit der als Dioxinschleuder enttarnten Krupp-Hoesch-Sinteranlage in Dortmund „viel zu spät gehandelt“ zu haben. Mit seiner Geheimhaltepolitik habe er dem vorsorgenden Gesundheitsschutz nicht Rechnung getragen, kritisierte die Grünen-Abgeordnete Katrin Grüber. Der CDU-Abgeordnete Heinrich Kruse warf Matthiesen vor, „gewaltig geschludert“ zu haben. Dafür finden sich in dem gestern von Matthiesen vorgelegten Dioxin-Bericht in der Tat zahlreiche Belege.

Am 9. März wurde Matthiesen informiert. Zu diesem Zeitpunkt wußte er, daß die Dortmunder Anlage 43 Nanogramm (ng) Dioxin pro Kubikmeter Abluft ausspuckte, 430mal soviel wie eine neue Müllverbrennungsanlage ausstoßen darf. Über das Jahr hochgerechnet etwa 250 Gramm – ein Achtel der beim Seveso-Unglück freigesetzten Dioxin-Menge. Die Öffentlichkeit erfuhr davon ebensowenig etwas wie der Betriebsrat, die Anwohner oder die in der Sinteranlage Beschäftigten. Warum nicht? In seinem Bericht schreibt Matthiesen, er habe seinen Staatssekretär schon am 9. März angewiesen, die Meßergebnisse „so schnell wie möglich“ in Verbindung mit einem Sanierungsplan und nach Gesprächen mit dem Krupp-Hoesch-Vorstand zu veröffentlichen. Das Gespräch mit dem obersten Konzernchef Gerhard Cromme fand am 27.5., also fast zweieinhalb Monate später, statt. Die Anlage lief während dieser Zeit munter weiter. Aus einem den Grünen zugespielten Schreiben des Unternehmens geht hervor, daß das Matthiesen-Ministerium auf Geheimhaltung drängte. In dem Brief heißt es, das Umweltministerium habe „deutlich“ den Eindruck vermittelt, daß „die Messung sowie die erhaltenen Meßwerte vertraulich behandelt werden müßten“. Alle Beteiligten seien zu der Erkenntnis gekommen, „daß trotz der relativ hohen Werte davon auszugehen ist, daß keine akute Gesundheitsgefährdung vorliegt“. Ende September war diese Geheimhaltepolitik am Ende. Über ein Dioxin-Hearing in Wien, bei dem auch die Essener Landesanstalt von ihren Messungen berichtet hatte, drang die Kunde vom Dortmunder Dioxin- Fund nach draußen. Während die Werte den Bremer Umweltstaatsrat und Dioxin-Experten Uwe Lahl „vom Hocker“ rissen, versuchte man in Düsseldorf die Veröffentlichungen zunächst auf die ganz coole Tour herunterzuspielen. Die Meßergebnisse, so teilte das Ministerium naßforsch mit, seien „wie erwartet“ ausgefallen und „keineswegs überraschend“. Wenige Tage später jedoch sah sich Matthiesen gezwungen, von „unglaublich hohen Werten“, die „alles bisher Dagewesene überstiegen“ hätten, zu sprechen. Vor dem Landtag verteidigte er seine Informationssperre damit, daß es keinen Sinn mache, die Daten herauszugeben, wenn man nicht gleichzeitig ein entsprechendes Konzept zur Schadstoffreduktion anbieten könne.

Bei der Düsseldorfer Opposition sorgte diese Argumentation für Empörung. Durch die monatelange „Geheimhaltetaktik“ hätten der Umweltminister und die Unternehmensleitung „fahrlässig“ eine Gesundheitsgefährdung der unmittelbar betroffenen Menschen in Kauf genommen. Hoesch- Betriebsrat Jürgen Haffner: „Man muß ja wirklich den Verdacht haben, daß hier eine Kumpanei zwischen Politik und Unternehmensleitung auf Kosten der Gesundheit der Belegschaft vorgenommen worden ist.“ Daß noch nicht einmal die Kleingärtner vor dem Verzehr ihres in unmittelbarer Nähe des Werkes angebauten Gemüses gewarnt worden sind, halten Mitglieder der gerade gegründeten Bürgerinitiative „für eine besondere Sauerei“. Seit einem Jahr schon weiß das Düsseldorfer Ministerium von drastischen Gemüsebelastungen im Umfeld von industriellen Dioxin-Emittenten. In der Umgebung der ebenfalls als Dioxinschleuder enttarnten Duisburger Metallhütte Berzelius etwa lag die Dioxin-Belastung des dort angebauten Gemüses zum Teil fünfeinhalbfach über dem empfohlenen Maximalwert. Schon im Juni 1992 riet die Stadtverwaltung deshalb vom Verzehr und weiteren Anbau einiger Gemüsesorten ab. Es bedurfte jetzt in Dortmund erst der Presseveröffentlichungen, bevor eine entsprechende Warnung erging – vorsorglich. Denn was tatsächlich in dem angebauten Grünzeug steckt, weiß immer noch niemand. Man habe, so Matthiesen, noch „keine signifikanten“ Dioxin-Belastungen festgestellt. Matthiesen weiter: „Daraus schließen wir, daß wir auch bei Untersuchungen von Obst und Gemüse aus den Kleingärten nichts Gravierendes finden werden.“ Tatsächlich hat Matthiesen bisher überhaupt keine Boden, sondern lediglich vier Grasproben entnehmen lassen. In dem Gras wurden Werte zwischen 0,9 und 2,9 ng Dioxin pro Kilo Trockensubstanz gemessen. Daraus auf die Unbedenklichkeit von Gemüse zu schließen, hält die Grünen-Dioxin-Expertin Grüber für „absolut unangemessen und unverantwortlich“. Gestern kündigte Matthiesen an, Messungen wegen der großen Aufregung nun nachholen zu wollen. Grund zur Besorgnis gebe es nicht.

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