: Dinosaurier mit Demenz
Michel Piccoli als scheidender Patriarch: Claude Mouriéras' „Alles bestens (Wir verschwinden)“ im 3001 ■ Von Christiane Müller-Lobeck
Filme mit mehreren Schwestern drin kennen wir ja, zum Beispiel von Margarete von Trotta. An ihnen lassen sich so herrlich verschiedene Lebensentwürfe von Frauen auffächern und zur Diskussion stellen – am besten im Streit zwischen den Schwestern, denen im familiären Rahmen nicht nur das Zusammenhalten sondern auch die Konkurrenz untereinander antrainiert wurde. Das Buhlen um die Liebe des Vaters ist denn auch meistens die Blaupause für ihr Verhältnis zu Männern im Allgemeinen.
In der Kindheit der drei Schwestern in Claude Mouriéras' Alles bes-tens (Wir verschwinden) allerdings hat es eine funktionale Störung gegeben: Der Vater (Michel Piccoli) verließ seine Frau und die drei kleinen Töchter einer anderen wegen, gehört haben sie alle seitdem nichts mehr von ihm. Laure (Miou-Miou), Béatrice (Sandrine Kiberlain) und Claire (Natasha Regnier) haben sich so sehr auf die Seite der inzwischen toten Mutter geschlagen, dass sie auf die Rücckehr des Vaters nach 15 Jahren zunächst nur mit Abscheu reagieren.
Kaum betritt er den harmonischen Kosmos der Schwestern, beginnt die solidarische Gemeinschaft auch schon auseinander zu fallen. Geschickt besucht er zuerst Claire, die Jüngste, die mit einigen Performance-Künstlern in einem besetzten Haus lebt. Sie, deren Vorbehalte sich am leichtesten zerstreuen lassen, weil sie zu klein war, als er die Familie verließ, verschweigt ihren unheimlichen Gast – das Drama wohl ahnend, das die überraschende Rückkehr des Vater bei den beiden anderen auszulösen imstande ist.
Als der greise Vater nach und nach auch Laure und Béatrice besucht und jeweils vorgibt, sie seien die ersten, die er aufsucht, der Schwindel auffliegt und er sogar seine Enkelin gegen die Töchter auszuspielen beginnt, eskaliert die Situation in rasendem Tempo. Konfrontieren kann man ihn immer weniger mit dem, was er den Frauen einst antat: Nach und nach nämlich verliert er sein Gedächtnis.
Es ist, als habe ein männlicher Dinosaurier das Leben der drei betreten: Männer wie er kommen dort nicht mehr vor. Die Tanzlehrerin Laure erzieht ihre Tochter allein, hin und wieder verliebt sich einer ihrer reizend trotteligen Schüler in sie. Mehr als sie hat die Unternehmerin Béatrice finanziell ausgesorgt, zu ihrem Freund hat sie ein lockeres Verhältnis. Und für Claire ist ohnehin klar, dass sie für ihre Ausbildung zur Konzertpianistin demnächst den Ort wechseln muss, der Lover ist auch ihr nebensächlich.
Dass zwei von den Liebhabern der Töchter keine französischen Vorfahren haben, mag ein zusätzlicher Fingerzeig von Mouriéras sein. Die Bedeutung der patriarchal strukturierten Familie für den Zusammenhalt der Nation ist zurecht lange Zeit sehr hoch eingeschätzt worden, das galt auch dort, wo – wie in Frankreich – nicht in allererster Linie das Bluts- sondern das Geburtsrecht die Zugehörigkeit zum Nationenvolk bestimmt. Mouriéras' Film lotet ganz vorsichtig eine Übergangszeit mit offenem Ausgang aus – ohne platten Kausalitäten das Wort zu reden. Was geschieht mit der Familie, wenn der Patriarch zurückkehrt, nur um seine Unzeitgemäßheit, seine Demenz unter Beweis zu stellen? Und was bedeutet das in einer Zeit, in der die Dinosaurier Staat und Nation ohnehin in ihrer Bedeutung angefochten sind, wie nie zuvor?
Von all dem abgesehen ist es ein wunderschöner Schwesternfilm mit hervorragenden Dialogen, in denen die gemeinhin mit Frauenbeziehungen verbundene Innerlichkeit keinen Platz hat. Und auch Betroffenheitsgefasel, das dem familiären Psychodrama wohl angemessen wäre, sucht man in Alles bestens vergeblich.
täglich bis 28.2., 20.30 Uhr; 1.3., 2.3., + 5. - 7.3., 18 Uhr, 3001
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