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Dinosaur Jr.Punkrock für Blumenkinder

Kommentar von Thomas Winkler

19 Jahre danach: Mit „Beyond“ kehren Dinosaur Jr., Urväter des Alternative Rock, in Originalbesetzung zurück – und es ist, als sei nichts gewesen.

Haben überlebt: Dinusaur Jr. Bild: Promo

D ankeslisten beginnen gewöhnlich mit Gott, Jesus, dem Heiligen Geist oder einer Kombination aus der Dreifaltigkeit. Oder mindestens mit Mama.

Die Dankesliste von „Beyond“, dem neuen Album von Dinosaur Jr., beginnt dagegen mit Brian, Justin und Joel. Die ersten beiden arbeiten bei Fender, der Dritte bei Marshall. Die Familien und Freunde folgen anschließend mit gebührendem Abstand.

Man muss das verstehen, dass die Lieben nur unter „ferner liefen“ geführt werden. Gitarren und ihre Verstärker, wie sie die beiden Marktführer Fender und Marshall herstellen, spielen nun mal die zentrale Rolle im Sound von Dinosaur Jr. Das war 1988 so, als die Band ihr letztes Album in Originalbesetzung herausbrachte. Das ist auch heute noch so auf „Beyond“, der Platte, die Gitarrist und Sänger J Mascis, Bassist Lou Barlow und Schlagzeuger Murph erstmals nach nahezu zwei Jahrzehnten wieder zusammenführt.

Angetrieben von schweren Konflikten, die in der Band schwelten, aber vor allem mit Hilfe von bis zum Anschlag aufgerissenen Verstärkern, sich überlappenden Effektpedalen und infernalischer Lautstärke schuf das Trio Mitte der Achtzigerjahre einen neuartigen Sound, der den Alternative Rock prägen und seine kommerzielle Spitze Grunge möglich machen sollte.

Ausgehend von Folkrock-Harmonien, die noch das Debüt „Dinosaur“ von 1985 dominierten, fanden die drei aus Amherst, Massachusetts, auf ihrem zweiten Album „Youre Living All Over Me“ zu einem Klang, der das Ungestüme des Punk und die Konsequenz von Hardcore mit der Weinerlichkeit eines Neil Young versöhnte zum gewaltigsten Gitarrengewitter, das die Welt bis dahin gehört hatte. Hin und her und kreuz und quer zischelten die Riffs und fauchten die Störgeräusche, wucherten wie Unkraut, quollen aus Mascis Gitarre wie aus Pandoras Büchse, während er mit klagender Stimme sang von alltäglicher Verzweiflung, Verlassenwerden und Verlorensein. Barlow spielte seinen Bass dazu bisweilen wie eine weitere Gitarre, gab der Musik aber meist ihren atemlos treibenden Herzschlag. Das Schlagzeug von Murph füllte fast wie ein drittes Melodieinstrument die wenigen Lücken, die Gitarre und Bass ließen.

Grundsätzlich verließen diese Songs, diese Attacken zwar nur selten die etablierten Grundprinzipien der Rockmusik. Aber sie übernahmen wie selbstverständlich die von Velvet Underground in den Sechzigern gewonnenen Erkenntnisse über Rückkopplungen und extreme Verzerrungen und bauten sie in scheinbar harmlose, zum Teil gar kitschige Popsongs ein. Das Ergebnis war brutal melancholisch und zärtlich glitzernd, war Kuschelrock für Bierdosentrinker, Punk für Blumenkinder, oder, wie es der Titel einer Best- of-Compilation recht treffend in Worte fasste: „Ear Bleeding Country“.

Spätestens auf „Bug“, ihrem dritten Album von 1988, war dieser Entwurf zur Perfektion gereift. Und wohl ausgereizt. Die Spannungen zwischen Mascis und Barlow, die sich bisweilen sogar in Prügeleien auf der Bühne entladen hatten, waren endgültig unerträglich geworden. Im Frühjahr 1989 verließ der Bassist die Band und startete eine recht erfolgreiche Zweitkarriere. Mit Bands wie Sebadoh und Folk Implosion erfand der den Lo-Fi-Folk, sein wundervolles Solo-Album „Emoh“ ging vor zwei Jahren völlig unverdient unter. Schlagzeuger Murph, der eigentlich Emmett „Patrick“ Murphy hieß, ging zuerst zu den Lemonheads und verschwand dann zwischenzeitlich in der Versenkung. Mascis schließlich führte Dinosaur Jr. derweil als diktatorisches Unternehmen fort, veröffentlichte in schöner Regelmäßigkeit und mit verschiedenen Besetzungen solide Platten, die aber nur bisweilen die Brillanz der ersten drei Veröffentlichungen erreichten, niemals denselben Eindruck bei den Kritikern hinterließen und so gut wie nie an deren kommerziellen Erfolg heranreichten.

So beschädigt ihr Verhältnis auch war, die Musik, die die drei zusammen aufgenommen hatten, war nahezu perfekt. Das kann man noch heute hören, auch weil diese Platten vor zwei Jahren wiederveröffentlicht wurden. Der Großteil der Musik aus den Achtzigerjahren hat Patina angesetzt und sehr gelitten. Die damals modernen Experimente mit Synthesizern und neuen Aufnahmetechniken sorgten für Sound-Innovationen, die den Lauf der Zeit bisweilen nicht allzu gut überstanden haben. Aber keins der frühen Alben von Dinosaur Jr. hat etwas von seiner Dynamik eingebüßt, von seiner Faszination, die es aus der Diskrepanz bezog. Sicherlich gibt es mittlerweile Bands, die lauter sind und brutaler, filigraner und gefühliger. Aber niemals wieder hat eine Band so entspannt die Extreme miteinander verknüpft: Die besten Stücke von Dinosaur Jr., und davon gibt es viele, sind zugleich Angriff und Streicheleinheit. Sie nehmen einen in den Arm und schubsen einen raus auf die Straße. Man kann zu ihnen durch einen sonnigen Tag schlendern und doch auch im selben Rhythmus seinen Kopf wütend gegen eine Wand hämmern.

Der große kommerzielle Erfolg war ihnen niemals beschieden. Auch entschiedene Epigonen fanden sich nur wenige. Nicht nur setzte der Sound von Dinosaur Jr. einige Könnerschaft an den Instrumenten voraus, er war auch schlicht und einfach zu schwer zu reproduzieren. So schwer, dass die Band oft selbst damit Probleme hatte und ihre Live-Auftritte immer wieder zu Enttäuschungen gerieten. Dinosaur Jr. galten als legendär laute Band. Aber Lautsprecher-Anlage und Mischer waren meist damit überfordert, aus den vielen widerstreitenden Informationen an den extremen Enden des Klangspektrums mehr zu formen als einen unhörbaren Brei. So blieb er einzigartig, der Klang dieser Band.

Aber nicht ohne Folgen. Ganze Generationen an Indie-Bands orientierten sich an den Gitarrenwänden, die Mascis erbaut hatte. Mit seinen zotteligen Haaren, den schlackernden Baumfällerhemden und einer legendären Antriebslosigkeit prägte J Mascis den Prototypen des Slackers, der die amerikanische Popkultur in den Neunzigern beinahe zum Stillstand brachte. Grunge übernahm nicht nur die karierten Baumwollshirts, sondern hätte womöglich auch anders geklungen ohne die Vorarbeiten von Dinosaur Jr., die in der Zeit nach Punkrock, als Musikantenschaft und vor allem Gitarren-Soli immer noch unter Todesstrafe standen, Musikalität und die gute Melodie rehabilitierten. Nicht zuletzt Kurt Cobain und Nirvana destillierten ihren Sound aus dem ihrer beiden Lieblingsbands: Von den Pixies übernahmen sie die strengen Laut-Leise-Kontraste, von Dinosaur Jr. die Blaupause, Gitarreninferno mit Pop-Appeal zu verbinden. So sind Mascis, Barlow und Murph, denkt man die Ahnenreihe konsequent zu Ende – und wäre man ein wenig bösartig – auch verantwortlich für die Horden von Emo-Bands, die zuletzt die US-Charts okkupieren.

Zur Unterstützung der Re-Issues von 2005 fand sich die Originalbesetzung, nun allesamt im fünften Lebensjahrzehnt angekommen, überraschend wieder zusammen, spielte einige umjubelte Konzerte und absolvierte einen Fernsehauftritt. Weil alles sehr viel besser lief als gedacht, die alten Wunden geheilt scheinen, konnte es zu „Beyond“ kommen. Zu diesen elf neuen Songs, neun davon von Mascis, die anderen beiden von Barlow. Und zu dieser Erleichterung: Denn im Gegensatz zu The Who oder The Stooges, Mission of Burma, Police oder einer der anderen vielen Wiederbelebungen der letzten Zeit gibt es keine Ausfälle zu beklagen auf „Beyond“, keine Peinlichkeiten zu ertragen, keine Entschuldigungen beim Hören mitzuformulieren. „Beyond“ ist nicht in Ordnung für ein paar alte Herren, „Beyond“ wäre auch eine großartige Platte gewesen, wäre sie 1990 nach „Bug“ erschienen. Schon der Auftaktsong, „Almost Ready“, ist eine jener überfallartigen Atonalattacken, die zuerst piken und dann ganz heimelig werden. „Were Not Alone“ ist eine fast schon zu schnelle Ballade, die zerbrechlich zwischen Bangen und Hoffen zittert und selbst durch ein zu langes, recht zielloses Gitarrensoli nicht kaputt zu kriegen ist. Die Barlow-Komposition „Back To Your Heart“ schafft den Spagat, einerseits schwerblütig zu rockend und andererseits wie verschämt hingehuscht zu wirken. Selbst eine gewisse, allerdings überaus vorsichtige Weiterentwicklung ist zu verzeichnen: Das Cello, das sich durch „I Got Lost“ quält, wäre ihnen damals wohl kaum auf eine Platte gekommen. Heute macht es sich hübsch, denn schließlich – man darf das nicht vergessen, auch wenn es sich beim Hören leicht vergisst – hat man es hier mit einem Alterswerk zu tun.

Tatsächlich sehen die Protagonisten ein wenig mitgenommen aus. Vor allem der 41-jährige Mascis, für den Rolling Stone mittlerweile der „elder statesman of indie rock“, mit seinen immer noch schulterlangen, aber mittlerweile schlohweißen Haaren, einem dickem Kassengestell aus Horn auf der Nase und einer immer wieder gern demonstrierten geistigen Abwesenheit. „I wasted all those years“, singt er in „Pick Me Up“. Nicht so schlimm, möchte man ihn trösten. Drei epochemachende Platten aufnehmen und 19 Jahre später problemlos daran anschließen, J, alter Kumpel, das kriegen doch wahrlich nicht viele hin.

Also: Danken wir Jesus, danken wir Gitarrengott J, danken wir, wenns hilft, auch Mama. Dinosaur Jr. sind wieder da.

Dinosaur Jr.: „Beyond“ (PIAS/Rough Trade)

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