Digitale Tauschbörse für Lebensmittel: Die Mitess-Zentrale
Auf foodsharing.de kann man Lebensmittel abgeben, bevor sie im Kühlschrank vergammeln. Und mealsharing.org versammelt Fremde zum Dinner.
Es ist wie immer, wenn der Urlaub ansteht: Im Kühlschrank stapeln sich Joghurt, Käse, Wurst, von der Milch ist auch viel zu viel da. Alles hält noch Tage, ist aber sicher verdorben, wenn man wieder aus den Ferien zurückkommt. Für abgetragene Winterkleider gibt es Altkleider-Schlucker, für Bücher das Antiquariat, momox und Ebay. Aber was tun mit Essen, das man nicht mehr braucht?
Über 12.000 Mitglieder hat foodsharing.de inzwischen, die digitale Tauschbörse für Lebensmittel. Da werden in Prenzlauer Berg zwei Gläser Babybrei „Karotte-Kartoffel“ angeboten, in Augsburg kann man sich kostenlos zehn Eier und eine Packung Schupfnudeln abholen und in Hannover wartet eine angebrochene Packung Toastbrot auf einen neuen Besitzer.
Weil hier jemand Sachen verschenkt, die im Supermarkt um die Ecke nur ein paar Cent kosten, mögen solche Angebote putzig klingen. Die Sache hat aber doch einen ernsten Hintergrund. Jeder Bundesbürger wirft im Jahr durchschnittlich etwa 80 Kilogramm Lebensmittel einfach weg, obwohl diese originalverpackt und noch einwandfrei genießbar sind. Würde nicht so viel verschwendet, käme man dem Ziel, das auf der Welt alle zu essen haben, einen großen Schritt näher. Es bräuchte sicher auch weniger Turbomast und Hightech-Pflanzen.
Im vorigen Jahr hat sich deswegen der Verein Foodsharing gegründet. Lebensmittel zu teilen anstatt sie wegzuwerfen, das ist die Idee. Man könnte auch sagen, Foodsharing ist die Verlängerung des „Containerns“ ins Netz. Beim Containern holen Aktivisten weggeworfene, noch haltbare Lebensmittel aus dem Müll.
Diesen und viele andere spannende Texte finden Sie in der sonntaz vom 9./10. März 2013. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Nachbarhaus statt Edeka
Es reicht, sich mit einer E-Mail-Adresse auf der Website von Foodsharing anzumelden, anschließend kann man seine Nachbarschaft nach Angeboten durchforsten, alle Einträge werden in einer Karte verzeichnet. „Ich male mir gerne aus, wozu das führen könnte“, sagt Antonia Scheffler, die sich sofort registriert hat, als die Plattform Mitte Dezember online ging: „Würden nur genug mitmachen, wäre es vielleicht leichter, im Nachbarhaus zu klingeln, wenn einem zwei Eier fehlen, als noch zu Edeka zu laufen.“
Damit aus dieser Vision Realität wird, nimmt die VWL-Studentin heute noch längere Wege auf sich als nur bis zum Nachbarn. Vor ein paar Tagen ist sie mit dem Fahrrad eine Viertelstunde für ein Netz Klementinen unterwegs gewesen. Eine schnelle Besorgung sei das nicht gewesen, sagt sie.
„Ich bin gleich noch zu einem Glas Tee und einem kleinen Plausch eingeladen worden. Und wenn ich mir heute eine Mandarine nehme, dann muss ich immer wieder an diesen netten Besuch denken.“ Besser kann man vielleicht nicht auf den Punkt bringen, was Valentin von Thurn, Mitinitiator des Projekts, bei der Vorstellung der Plattform meinte: „Wir wollen zeigen, das Lebensmittel einen ideellen Wert haben.“ Von Thurn ist Filmemacher. In seiner Dokumentation „Taste the Waste“ hat er vor zwei Jahren aufgezeigt, welche Folgen für Umwelt, Klima und die sozialen Zustände in der Welt unsere Wegwerfgesellschaft hat.
Die Verpackungsgrößen schrumpfen
Sich Nahrung mit anderen Menschen zu teilen, ist ein uraltes Ritual und ein so allgemeingültiges Bild für Gesellschaft, es sollte eigentlich kaum der Rede wert sein. Doch eben dieses Teilen ist nicht mehr selbstverständlich. Blickt man in die Supermärkte, dann wollen wir von unserem Essen immer weniger abgeben. Die Verpackungsgrößen schrumpfen, und längst werden nicht nur in Single-Haushalten Einmann-Pakete gegessen, sondern auch in Familien oder WGs.
Sich seine eigenen Ernährungsgewohnheiten zu leisten, das ist möglich, und die Freiheit nehmen sich viele. Das Bild von der gesellschaftlichen Tafel hält sich nur noch medial. Der amerikanische Essayist und Kulturwissenschaftler Geoff Nicholson hat jüngst herausgefunden, dass amerikanische TV-Serien umso stärker das Bild der Familie am Küchentisch transportieren, je weniger das noch der Realität entspricht. Wenn US-Familien heute zusammensitzen, dann eher, um sich ein Football-Spiel zu teilen als den Topf Spaghetti.
Deshalb hat sich die Plattform mealsharing.org zur Aufgabe gemacht, nicht Lebensmittel, sondern Mahlzeiten zu teilen. Wer spontan Lust hat, mit anderen zu essen, was er gekocht hat, lädt via Plattform dazu ein. Ainara del Vallez-Perez hat mealsharing.org sogar dazu animiert, überhaupt erst mit dem Kochen zu beginnen.
Kuchen für alle
„Es gibt bei mir keine richtigen Dinner“, sagt sie, „aber wenn ich einen Kuchen gebacken habe und das Rezept für zwölf Personen ausgelegt ist, dann freu ich mich, wenn jemand mitisst. Allein könnte ich den Kuchen gar nicht essen.“ Die Spanierin arbeitet erst seit ein paar Monaten in Berlin, spricht noch wenig Deutsch und hat in der Hauptstadt vor allem über die Plattform viele neue Freunde gefunden.
„Es geht uns nicht so sehr um ein delikates Essen“, sagt del Vallez-Perez, wichtiger sei, mit Menschen zusammenzukommen. Die Idee hatte Jay Savsani, der Initiator, im Urlaub in Kambodscha. Er fragte an der Rezeption seines Hotels nach hausgemachter einheimischer Küche – und bekam eine Einladung in einer Familie arrangiert.
Er wurde warm und gastfreundlich empfangen, der Abend wurde zum bestimmenden Erlebnis seines Urlaubs. Savsani wollte das unbedingt vielen anderen Menschen erzählen: „Wir wollen uns wieder in hausgemachte Küche verlieben“, ist deshalb einer der Slogans auf der Website. Weil das Miteinander vorrangig ist, sollen Gäste zum „Mealsharen“ auch nur ein kleines Geschenk mitbringen, alles ist unentgeltlich. Die Plattform hat inzwischen 600 Mitglieder, vor allem in Chicago und Berlin finden viele der Einladungen statt.
Kostenlos-Regal vorm Supermarkt
Dass mit den geteilten Lebensmitteln auch noch gemeinsam gekocht wird, ist auch für die Initiatoren von foodsharing.de eine schöne Idee. Florian Kliem betreut in einer Markthalle in Berlin-Kreuzberg ein Regal des Vereins, auf dem Obst, Gemüse und andere Produkte kostenlos zum Mitnehmen liegen. Gespendet werden die Lebensmittel von einem Bio-Supermarkt oder sie werden von der Berliner Tafel weitergegeben, wenn die Organisation die Produkte selbst nicht weiterverwerten darf, etwa weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist.
Doch es dürfte schwer sein, sich daraus zu bedienen, um ein ganzes Gericht zu kochen, meint er. Dafür sei das Regal viel zu schnell leer. Es steht nur ein paar Meter vom Eingang eines Discounters entfernt, „und wenn wir gleich ein paar Paletten eines Trinkjoghurts gespendet bekommen, dann glauben viele Leute sogar, hier finde eine Werbeaktion statt.“
Hauptsache sei eben, die Produkte landen nicht im Müll. Kliem versteht sich da ganz als „Lebensmittelretter“, weniger als Wiederbegründer neuer Gastlichkeit.
Wenn es ums Essen geht, gibt es tatsächlich oft ganz Verschiedenes zu teilen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind