Dietrich Wersich, CDU-Fraktionschef: "Eine Partei der Vielfalt"
Der neue CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich über Ziele, Chancen und Perspektiven der CDU nach der historischen Wahlschlappe bei den Bürgerschaftswahlen.
taz: Herr Wersich, was halten Sie davon, dass sich Olaf Scholz gerade zum Bürgermeister hat wählen lassen?
Dietrich Wersich: Ich wünsche ihm Glück, bin aber ein bisschen befremdet, dass er fast drei Wochen lang die Stadt alleine regieren wird. Wenigstens hätte er Frank Horch, den er ja bereits als künftigen Senatskollegen vorgestellt hat, zum Wirtschaftssenator machen können.
Bei der CDU vermissen wir bislang eine überzeugende Analyse des katastrophalen Wahlergebnisses. Können Sie als frisch gebackener Fraktionschef uns weiterhelfen?
Dieses Ergebnis ist ein klares Zeichen dafür, dass die Wähler das Vertrauen verloren haben, eine CDU, wie sie sich zuletzt präsentiert hat, könne die erfolgreiche Politik der vergangenen Jahre fortsetzen.
Warum haben die WählerInnen dieses Vertrauen verloren?
Weil wir nicht klaren Kurs gehalten haben. Wir haben den Koalitionsvertrag vor dem Hintergrund wachsender Steuereinnahmen abgeschlossen, mussten dann in der Krise Sparpakete verabschieden, die durch die überraschend schnelle Erholung dann wieder in Frage gestellt wurden. Das hat nicht zu einem klaren Profil beigetragen. Zudem haben wir in vielen personellen Fragen keine gute Figur gemacht: Dazu gehört die Art der Amtsübergabe von Ole von Beust aber auch der Rücktritt mehrerer CDU-Senatoren. Nach dem verlorenen Volksentscheid und später dem Koalitionsbruch fühlten sich weder die klassischen CDU-Wähler noch die nicht angestammten CDU-Wähler, die aber Ole von Beust gewählt haben, bei der CDU gut aufgehoben.
DIETRICH WERSICH 46, seit 1980 in der CDU, arbeitete als Arzt und als Theater-Geschäftsführer. Seit 2004 Gesundheits-Staatsrat unter Ole von Beust, 2008 Sozialsenator, 2011 CDU-Fraktionschef.
Welche Wählergruppen sollen die Christdemokraten in Zukunft ansprechen?
Der Kernpunkt der Verunsicherung im bürgerlichen Klientel war die Frage der Schulreform. Die Ansage "CDU pur" nach dem Koalitionsbruch war offensichtlich nicht die richtige Antwort. Die CDU darf nicht nur die Partei der bürgerlichen Milieus sein, sie muss auch eine Partei der Vielfalt sein, muss etwa auch für Menschen mit Migrationshintergrund, die hier ihre Existenz aufgebaut haben, attraktiv sein. Deswegen halte ich nichts von einer Verengung auf das sogenannte Stammklientel.
In welche Richtung muss sich die CDU inhaltlich weiterentwickeln?
Im Ergebnis muss sich die CDU wieder auf die wichtigen Themen für die Zukunft der Stadt konzentrieren: Das sind Bildung, die innere und soziale Sicherheit, das sind die Wirtschaft und die Haushaltslage. Hier muss die CDU in einer breiten innerparteilichen Diskussion ihre Konzepte überarbeiten.
An welchen Punkten sollte die neue CDU-Fraktion die SPD stellen?
Wir müssen unsere Wächterfunktion wahrnehmen und darauf achten, dass die Erfolge der vergangenen Jahre - von der inneren Sicherheit über die wachsende Stadt, den Ausbau der Universitäten bis hin zur geringeren Schulabbrecher- und höheren Abiturientenquote - nicht gefährdet werden. Der zweite große Auftrag ist zu verhindern, dass die Stadt wieder zur Beute der SPD wird und nur Parteibuchwirtschaft herrscht.
Olaf Scholz will die Neuverschuldung begrenzen und trotzdem die Kitas und das Studium beitragsfrei machen. Wird das klappen?
Wer wie Scholz die Steigerung des Betriebshaushalts auf jährlich ein Prozent begrenzen will, während Löhne und Gehälter - etwa für Lehrer oder Polizisten - die einen Großteil des Haushalts ausmachen stärker steigen, weiß, dass die Rechnung nicht aufgeht. Wenn Scholz zur Finanzierung seiner Wahlversprechen auf Rücklagen zurückgreift, die zur Risikovorsorge für steigende Sozialausgaben da sind, reißt er neue Haushaltslöcher. Da werden wir sehr genau hinschauen und die Bürger nicht für dumm verkaufen lassen.
Sie haben die Themen Umwelt und Energie nicht genannt - überlässt die CDU die Opposition hier den Grünen?
Mit Sicherheit nicht. Wir haben Hamburg zur europäischen Umwelthauptstadt gemacht und wollen da weiter an der Spitze stehen, in dem wir Lösungen entwickeln, von denen auch andere Metropolen profitieren. Es gibt aber einen Unterschied zu den Grünen: Sie setzen mehr auf Umweltschutz durch Verzicht, wir stärker auf innovative und technologische Lösungen, um mit den vorhandenen Ressourcen effektiver und sparsamer umzugehen.
Wagen Sie eine Prognose, wo die SPD und die CDU in vier Jahren stehen?
Die Hamburger werden sehr genau hinschauen, ob die SPD die Versprechen die sie gemacht und die Erwartungen, die sie geschürt hat auch wirklich erfüllt. Ich glaube, dass die SPD entzaubert werden wird. Wir als CDU haben uns ein Stück von den Bürgern dieser Stadt entfernt. Wenn wir das vernünftig aufarbeiten und daraus lernen, haben wir eine gute Chance verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen.
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