Dieter Hildebrandt über die SPD-Krise: "Dilettantenverein in Hessen"
Der SPD fehlt es an einer straffen Führung - sagt Dieter Hildebrandt und hat einen guten Tipp für Kurt Beck parat: Einfach ein paar Wochen untertauchen.
taz: Herr Hildebrandt, müssen Kabarettisten wie Sie um ihren Berufsstand bangen, wenn die Volksvertreter künftig selbst politische Satire betreiben?
Dieter Hildebrandt: Davon spricht man schon seit 35 Jahren: Die Satire wird von den Politikern überholt. Aber sie können es nicht so gut. Ihnen fehlen die Fertigkeiten. Man sieht ja, mit welchem Dilettantismus solche Streitigkeiten wie in der hessischen SPD ausgetragen werden.
Immerhin, Beck verwirrt die eigene Partei stärker als den politischen Gegner. Ist das kein Fortschritt?
Ganz und gar nicht. Ich glaube Kurt Beck selbst ist der Verwirrte. Da kann man die anderen gar nicht mehr verwirren. Ich denke nur an den SPD-Bürgermeisterkandidaten Naumann. Wie er einen erbitterten Wahlkampf führt, um sein Prestige als SPD-Kandidat zu steigern - und dann kommt dieser Entschluss von Kurt Beck und alle Welt hat die Möglichkeit, ihm Lügen vorzuwerfen Das kann doch nicht im Ernst von Herrn Beck beabsichtigt gewesen sein.
Sie vermuten eine Verschwörung?
Ich frage mich nur: Was wäre unter einem Fraktionsvorsitzenden in Hessen passiert, der die SPD im Griff hat. Frau Ypsilanti muss doch wissen, dass es nicht nur eine Dame gibt, die dagegen ist. Es wäre dasselbe wie in Schleswig-Holstein passiert. Nein, noch schlimmer.
Sie vermissen Herbert Wehner?
Bei Wehner wäre es so gewesen, dass nichts passiert wäre, ohne mit den Abgeordneten zu telefonieren. Sie hätten Besuch von seinem persönlichen Referenten bekommen. Und er wüsste ganz genau, wer wie abstimmt. Er hätte Frau Ypsilanti im Übrigen verboten, sich dort zur Wahl zur stellen. Das ist ein Dilettantenverein in Hessen.
Abwählen!
Ja, natürlich.
Sie kennen sich mit Dramaturgie aus. Was empfehlen Sie Kurt Beck als nächste Pointe?
Ich würde dem Beck mal vorschlagen, jetzt vier Wochen zu verschwinden und sich mit der Problematik der Linken wirklich zu befassen. Was sind die Linken überhaupt? Das sollte man mal den Menschen klar machen. Die SPD kommt nicht auf die Idee, die Menschen aufzuklären, was bei der Zwangsgründung der SED wirklich passiert ist. Da sind hundertausend Sozialdemokraten in Sibirien verschwunden, die bis jetzt nicht wieder aufgetaucht sind. Die SPD hat diese Partei immer bekämpft, während die CDU sofort umgefallen ist.
Bedrohen die Linken die SPD als Volkspartei?
In der Linken sind viele von dieser Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit. Das sind doch im Grunde ausgetretene Sozialdemokraten.
Könnte es nicht sein, dass Beck furios unterschätzt wird? Er schreibt 2009 ab, die SPD macht Opposition - und die Linke wird damit überflüssig.
Ich müsste ihn mal fragen, ob er denn wirklich glaubt, dass er gegen Frau Merkel eine Chance hat. Die wird für meine Begriffe wiedergewählt. Vielleicht sollte er erst 2013 ins Rennen gehen. Vielleicht ist inzwischen Klaus Wowereit so weit.
Frau Metzger ist ihrem Namen im Fall Ypsilanti gerecht geworden. Sollte die SPD von Parteiausschlüssen rigoroser Gebrauch machen?
Das verändert ja gar nichts. Warum soll man diese arme Frau, die irgendjemand überredet hat, mutig zu sein, ausschließen. Vielleicht sollte man ihre Begründung mal akzeptieren. Ich würde diese Frau nicht veralbern. Sie hat gemacht, was sie machen musste.
Aber Sie sehnen sich nach einem Wehner. Braucht die SPD mehr Autorität?
Es fehlt an einer straffen Führung der Fraktion: genau! So war die SPD in den Zeiten ihrer größten Erfolge organisiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“