„Dieses gelbe Zeug ist ein Angriff“

AROMA Ein gutes Curry ist komplex. Es braucht Chili, Zimt, Kardamom – und niemals deutsches Einheitspulver

■ wuchs in Birmingham auf und lebt in Berlin. Hier eröffnete sie einen Dinnerclub, in dem Menschen Gerichte ihrer Heimat kochen.

INTERVIEW JÖRN KABISCH

taz: Frau Meelu, ist Curry Curry?

Kavita Meelu: Vielleicht in Europa. Wenn man in Indien ein Curry bestellen würde, würden die meisten nicht verstehen, was gemeint ist. Dort gibt es sicher eine Million Gerichte, die aus westlicher Sicht als Curry angesehen werden. Ich verstehe darunter am ehesten in Kirchenerbsenmehl frittiertes Gemüse mit einer scharfen Joghurtsauce. Kahdi Pakora: In meiner Familie sagen wir dazu Curry.

Curry hat also mit indischer Küche so viel zu tun, wie Spätzle mit Pasta zu tun haben.

Ihr Begriff ist davon geprägt, was man in England darunter versteht. Nämlich meist einen Eintopf auf der Basis von geschmorten Zwiebeln, manchmal mit Tomaten und natürlich Currypulver. Es soll scharf sein und man kann Fleisch und Gemüse dazutun, wie man will. So ein Curry funktioniert genauso wie ein Burger: Jeder kann es machen und jeder kann etwas Besonderes daraus machen. Deshalb ist es der größte Fehler, wenn man irgendein Currypulver dafür verwendet und nicht seinen eigenen Mix.

Warum?

Ein gutes Curry muss komplex sein. Es bringt dich dazu, immer neue Aromen herausschmecken zu wollen.

Das ist jetzt aber nicht mehr die britische Sicht auf das Gericht. Warum ist die indische Küche in Großbritannien dort überhaupt so populär?

Es ist die Küche einer ehemaligen Kolonie. Und übrigens eine der besten der Welt. Man muss sich doch nur vorstellen, welche aufregenden Aromen aus einem Topf Curry aufsteigen, und das mit einem Teller vergleichen, auf dem Kartoffeln liegen und ein einfach gebratenes Stück Fleisch. Ich bin sicher, die Küche bekommen die Briten nicht mehr los. In Großbritannien gibt es schon viele, die die südindische Küche von der aus dem Punjab oder aus Bangladesch unterscheiden können. Nur beim Kochen, da können die Briten wie die Europäer noch was lernen.

Und das wäre?Mehr Mut im Umgang mit Gewürzen. Europäer sind oft etwas nervös, wenn ein Rezept für drei Personen ein halbes Dutzend Zwiebeln verlangt oder eine Handvoll Knoblauchzehen.

Indische Rezepte verlangen so viele Gewürze, in Europa hat man so viel zuletzt im Mittelalter verwendet.

Die indische Küche ist wahrscheinlich noch älter.

Sie meinen: Es gibt kein Zuviel?

Was ich meine: Alles ist besser als deutsches Currypulver. Für mich ist dieses gelbe Zeug ein Angriff. Daran ist wirklich alles falsch. Damit schmeckt alles gleich.

Vielleicht bekommt man die Gewürze hierzulande gar nicht so einfach. Oder nicht so gut.

Das ist Unsinn. Meine Mutter dachte das auch, als sie aus Großbritannien hier zu Besuch war. Sie hatte alles im Koffer. Nach ein paar Tagen in Berlin war sie ein bisschen sauer, dass sie sich die Mühe gemacht hatte. Es gibt alles, was man braucht. Viele Gewürze der indischen Küche werden ja auch in der nahöstlichen Küche eingesetzt.

Was wäre die Basisausstattung?

Das kann ich nur von meiner Küche aus dem Punjab sagen: Die Grundgewürze sind Kreuzkümmel, gemahlener Koriander, Kurkuma, Chilipulver, Garam Marsala ist wichtig, eigentlich auch eine Gewürzmischung, die man selbst herstellen sollte. Langpfeffer, Zimt, Nelken. Dann Kardamom, nicht nur grüner, sondern auch schwarzer. Der hat ein sehr rauchiges Aroma. Schwarze Senfsaat und Curryblätter, eher Zutaten im Süden Indiens, verwendet meine Familie auch gern. Man bekommt in Deutschland sogar frische Blätter.

Wie merkt man sich so viele Gewürze?

Man muss sich nicht alle merken. Es gibt in der indischen Küche ein wichtiges Werkzeug, ein Metallkästchen. Darin befinden sich sieben Schüsselchen für all die Gewürze, die man braucht.

Ist es böse, wenn ich jetzt denke, dann schmeckt doch alles gleich und sehr scharf.

Ein bisschen. Ich erlebe öfter, dass Menschen sagen: Du isst so scharf, wie kannst du da was schmecken. Für meinen Gaumen ist es aber umgekehrt. Die Schärfe, der Chili, ist die Grundlage für die Geschmackssensation, die ich habe, wenn ich meine Heimatküche koche. Ich schmecke dann Tausende Aromen.

Es wird manche Menschen im Westen Mühe kosten, auf den Geschmack zu kommen.

Ja, ich habe schon manche Male gedacht, diese Vorliebe liegt im Blut. Aber keine Sorge, man kann seine Geschmacksnerven trainieren. Und ich verspreche, es zahlt sich aus.

Was ist das Besondere an dem Geschmack?

Für mich in Berlin ist es einfach der Geschmack meiner Heimat.

Sie sind in Birmingham aufgewachsen in einer Familie, die aus dem Punjab im Norden Indiens stammt.

Meine Mutter ist mit 23 nach Großbritannien ausgewandert, sie hatte zwei Jobs und musste sich darum kümmern, dass ihre drei Kinder überhaupt zu essen hatten. Die Schwester meiner Mutter ist mit dem Bruder meines Vaters verheiratet. Sie lebten nur ein Haus weiter. Deswegen gab es bei uns große Essen.

In Berlin haben Sie den Supperclub Mother’s mother eröffnet, ein Privatrestaurant, in dem Menschen Gerichte ihrer Heimat kochen. Waren diese Kindheitserlebnisse dafür wichtig?

Nicht nur. Die Küche ist eine entscheidende Sache, um hier meine indischen Wurzeln fühlen und meine Kultur mitteilen zu können. Denn die Sprache des Essens versteht eigentlich jeder.

Warum muss es Essen wie bei Muttern sein?

Weil Frauen die stillen Heldinnen der Kochgeschichte sind. Sie sind es meist, die das kulinarische Erbe einer Familie pflegen und Rezepte weitergeben. Das ist eine Kultur, die überall im Aussterben begriffen ist. Es wäre zu schade, wenn das passiert.

Die Essecke: Jörn Kabisch befragt auf dieser Seite jeden Monat Praktiker des Kochens. Außerdem im Wechsel: unsere Korrespondenten, die erzählen, was man in ihren Ländern auf der Straße isst, Philipp Maußhardt über vergessene Rezepte und Sarah Wiener, die aus einer Zutat drei Gerichte komponiert